Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
hergekommen war, hätte sie vermutlich auch Schweinefraß köstlich gefunden.
Während sie mit dem Wein nachspülte, überlegte sie düster, wie es mit ihr und Lorenzo weitergehen sollte. Den meisten Ärger verursachte ihr die Erkenntnis, dass sie bereits dabei war, lauter Entschuldigungen für seine Niedertracht zu finden. Und dass sie so dumm gewesen war, auch nur einen Moment zu glauben, er hätte sie tatsächlich schlagen können. Im Nachhinein war ihr klar, dass es nicht im Mindesten seiner Art entsprach. Seine Waffen bestanden aus Worten, Freundlichkeit und einem klaren Verstand. Er beherrschte sechs Sprachen und kannte sich in den Gesetzen aus. Er verstand sich darauf, Verträge zu formulieren und Absichtserklärungen abzugeben. Über seine Intelligenz und seine Redegewandtheit wurde mit Hochachtung gesprochen, und er überzeugte Politiker höchsten Ranges mit seinem Verhandlungsgeschick. Kurz, er war Diplomat, kein Schläger.
Er mochte ein guter Messerwerfer sein, aber sogar das war ein Kräftemessen, das aus der Distanz heraus am besten funktionierte.
Sie legte sich aufs Bett, um eine Weile auszuruhen. Als sie von einem drängenden Klopfen erwachte, waren die Kerzen bis auf eine heruntergebrannt, und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Während sie noch überlegte, ob sie schon wieder bereit wäre, sich mit Lorenzo zu versöhnen, erledigte sich diese Frage auch schon, denn nicht er hatte geklopft, sondern ein junger Mann, der vorsichtig in das Gemach lugte. Er war schlank, hatte gefühlvolle dunkle Augen und einen tragischen Zug um den schön geschnittenen Mund. »Verzeiht die nächtliche Störung. Meine Herrin lässt Euch bitten, sofort zu ihr zu kommen.«
Sanchia richtete sich auf. »Wer ist Eure Herrin? Lucrezia?« Sie meinte sich zu erinnern, dass sie den jungen Mann auf dem Fest inmitten des spanischen Gefolges in der Nähe der Papsttochter gesehen hatte.
Er nickte und verneigte sich. »Mein Name ist Pedro Calderon, ich bin Madonnas Kämmerer.«
Sanchia zuckte leicht zusammen. Kämmerer lebten in Rom nicht ungefährlich.
»Bitte folgt mir, es ist sehr wichtig! Sie braucht Eure Hilfe als Heilerin.«
Sanchia verdrängte das aufkommende Gefühl, sich in Gefahr zu begeben. Hastig schlüpfte sie in ihre Schuhe und folgte dem Kämmerer zu einer Treppe und dann über mehrere verzweigte Gänge bis zu dem Wohnturm der Borgia.
In Lucrezias Gemach, das sie bereits von dem gemeinsamen Bad kannte, brannte ebenfalls nur eine einzige Kerze. Die Flamme flackerte und warf unruhige Lichtinseln über das Bett. Lucrezia lag eingerollt auf der Seite, von Schluchzern geschüttelt, den Kopf unter ihren Armen verborgen. Das festliche Gewand hatte sie abgelegt, sie trug nur ein dünnes, seidenes Hemd, das vorn offen war und einen unziemlich großen Teil ihres nackten Körpers sehen ließ.
Sanchia schaute sich pikiert zu Calderon um, doch der Kämmerer verzog keine Miene. Anscheinend empfand er den Anblick weder als ungewöhnlich noch als verboten.
»Madonna, ich habe sie hergebracht.«
Er geleitete Sanchia zum Bett, dann verschwand er durch eine Seitentür.
»Was ist mit Euch?« Sanchia berührte vorsichtig die Schulter des Mädchens. »Seid Ihr krank?«
Lucrezia nahm den einen Arm von ihrem Gesicht, und Sanchia erschrak. Das schöne junge Antlitz war von einem harten Schlag gezeichnet. Die ganze linke Gesichtshälfte war verschwollen und blau angelaufen.
»Wer hat Euch das angetan?«
Lucrezia schüttelte den Kopf. »Ihr müsst mir helfen. Bitte. Ihr sagtet doch, Ihr seid Hebamme. Hebammen … Sie verstehen sich auch auf andere Dinge als eine Geburt, das weiß ich. Und Euer Mann – er ist Venezianer, und Venedig wird Pesaro und seinen Grafen schützen.«
Ihre Worte klangen wirr und waren von Schluchzern unterbrochen, doch Sanchia hatte keine Probleme, sie richtig einzuordnen.
»Ihr tragt ein Kind unterm Herzen«, sagte sie ruhig. »Und Ihr wollt es loswerden.«
»Ich kann es nicht bekommen«, flüsterte Lucrezia.
»Warum nicht? Weil Euer Ehemann geflohen ist? Ihr könntet ihm folgen! Wenn Ihr an seiner Seite wärt, würde ihm vielleicht so schnell nichts geschehen! Ich rede mit meinem Mann über den Grafen, vielleicht kann er sich beim Großen Rat der Serenissima dafür starkmachen, dass Pesaro besonderen Schutz erhält!«
»Ich kann das Kind nicht bekommen«, wiederholte Lucrezia tonlos.
»Warum denn nicht?«
»Weil mein Mann nicht der Vater ist.«
»Er ist nicht …« Sanchia schluckte. »Ist
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