Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
mischten sich die spitzen Schreie Lucrezias, die sich ungehemmt ihrer Ekstase ergeben hatte.
Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, hörte sie ihn den Raum verlassen.
Sanchia wartete auf die Aufforderung Lucrezias, dass sie herauskommen könne, doch es war Calderon, der den Wandschirm zur Seite zog und traurig auf sie herabschaute. Sanchia begriff sofort, dass er alles wusste. Er musste Lucrezia verzweifelt lieben.
»Ich bringe Euch jetzt zurück.«
Mit tauben Gliedern rappelte Sanchia sich hoch und starrte zum Bett.
Lucrezia lag wie hingegossen da, eine Wange blaurot vom Schlag ihres Bruder Juan, die andere rosig angehaucht von dem Liebesakt mit ihrem anderen Bruder Cesare.
Ihre Augen sagten alles. Sie war eine Getriebene, eine Gefangene der Liebe und der Angst. Spielball der Interessen ihres Vaters und der Begierden ihrer Brüder, wandelte sie seit ihrer Kindheit auf einem schmalen Grat zwischen Freundschaft und Verrat, Lust und Selbstekel, Erkenntnis und Verblendung. Diesen Weg der Verdammnis zu verlassen schien unmöglich, auch wenn sie offenbar erwartete, jemand werde sie bei der Hand nehmen und in Sicherheit bringen. Sie war gerade siebzehn Jahre alt und trug das Kind ihres Bruders, den ihr anderer Bruder, ihre wirkliche Liebe, zu töten im Begriff war.
»Jetzt wisst Ihr alles über mich«, sagte sie. Ihre Augen waren dunkel und leer, als hätte ihre Seele vorhin mit Cesare den Raum verlassen.
Benommen wandte Sanchia sich ab und stolperte hinter dem Kämmerer her, der mit einem Windlicht vorausging. Er gab ihr das Glas mit der Kerze mit, bevor er davoneilte.
»Ich finde meinen Weg auch in der Finsternis«, flüsterte er.
Um ein Haar hätte sie wegen der Doppeldeutigkeit seiner Worte hysterisch aufgelacht. Sie stellte das Windlicht auf einem Tischchen vor dem großen venezianischen Spiegel ab und wandte sich zum Bett um.
Er war da. Anscheinend hatte er doch kein anderes Quartier gefunden. Sanchia schwankte zwischen Lachen und Weinen. Wie hatte sie ihm überhaupt zürnen können? Sie brauchte ihn so sehr!
Leise schnarchend lag er da, das Laken teils zur Seite geschoben, teils um seine Beine gewickelt. Es war eine Angewohnheit von ihm, im Schlaf herumzuwühlen, sodass man nie die Decke wiederfand, wenn man sie brauchte. Das Gesicht hatte er zur Seite gedreht, die Lippen leicht geöffnet. Seine Lider zuckten ein wenig, er schien lebhaft zu träumen. Im Licht der Kerze lagen die gebogenen Wimpern wie Engelsflügel auf seinen Wangen, und sein Haar bildete über der Stirn zerzauste Wirbel. Im Schlaf war er ein hinreißender, von Lethe berührter Apoll, mit muskelbepackten Schultern und starken Armen, einer bronzeglatten Brust und Schenkeln wie bei einer antiken römischen Statue.
Sie zog sich bis auf das Hemd aus und schlüpfte zu ihm ins Bett. Die Kerze ließ sie vor dem Spiegel stehen, ihr Licht in Verbindung mit den strahlenden Reflexen von Pasquales Spiegel war seltsam tröstlich.
Lorenzo drehte sich schlaftrunken zu ihr um. »Da bist du ja«, murmelte er, ohne richtig wach zu werden. »Die Zofe sagte, du würdest in Lucrezias Gemächern die Nacht verbringen, weil sie Hilfe bei einem Frauenleiden braucht. Geht es ihr schon wieder besser? Bist du noch böse auf mich?«
Er schien keine Antwort zu erwarten, sondern zog sie in seine Arme, und sie schmiegte sich bereitwillig an ihn. Das Gesicht an seine Brust gedrückt, genoss sie seine Körperwärme und lauschte seinem Herzschlag. Und versuchte dabei, nicht allzu sehr zu zittern. Ihr war kalt bis ins Mark. Sie starrte auf die Kerze, deren Licht vom Spiegel verdoppelt wurde. Spiegel und Licht, dachte sie. Licht und Spiegel … Der Canalezzo, ihr Vater, Pasquale … Es half nichts, die Erinnerungen führten sie nicht aus der Senke des Schreckens heraus.
»Wer ist Joffre?«, flüsterte sie.
»Der jüngste Sohn des Papstes«, gab Lorenzo schläfrig zurück. »Warum?«
»Nur so.« Sie konnte nicht aufhören zu zittern.
Er wurde langsam wach und drückte sie fester an sich. »Du fühlst dich eiskalt an. Was ist los?«
Anstelle einer Antwort fing sie an zu weinen.
Sie fing sich wieder, nachdem sie ihm alles erzählt und dabei die schlimmste Anspannung losgeworden war, doch an Nachtruhe war vorerst nicht zu denken.
Wie sonst auch, wenn er zur Schlafenszeit ein dringendes Problem im Kopf wälzen musste, marschierte Lorenzo vor dem Bett auf und ab. Er hatte sich das Laken um Hüften und Schultern geschlungen und sah nun nicht länger aus wie Apoll,
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