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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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wiederum vor Jahren die Bekanntschaft des Deutschen Albrecht Dürer gemacht hatte, weil er zu jener Zeit bei Pacioli studiert hatte. Dürer stand seither mit Pacioli in Briefkontakt.
    Dürer hatte sich in einem begeisterten Brief lobend über diese Stadtkarte ausgelassen, die – und hier offenbarte sich wirklich, wie klein die Welt manchmal war – ein venezianischer Künstler namens Jacopo de’ Barbari gefertigt hatte, den Dürer ebenfalls während seiner Venedig-Reise vor fünf Jahren kennen gelernt hatte und der auf Einladung des Kaisers zurzeit in Nürnberg weilte, wo Dürer lebte. In Nürnberg hatte de’ Barbari auch den Holzschnitt für die Karte hergestellt.
    Auf Marcos Drängen hin hatte Lorenzo einen Nürnberger Kaufmann aus dem Fondaco dei Tedeschi gebeten, bei seiner nächsten Rückkehr nach Venedig einen dieser Vogelschaupläne mitzubringen.
    Und hier lag er nun ausgebreitet, an den Ecken mit Büchern beschwert, damit er sich nicht einrollen konnte. Jede noch so kleine Einzelheit war mit größter Akkuratesse dargestellt, sämtliche Gebäude und Mauern, die feinen Linien der Gassen und Kanäle, Brücken und Dächer, die Umrisse des Küstenverlaufs, bis hin zu den unglaublichsten Details wie Brunnen, Fenster und Boote, die auf dem Wasser dümpelten. Sogar Bäume und Büsche waren in den winzigen, maßstabsgetreuen Gärten auszumachen, desgleichen die Gestalten der Menschen, die auf den Booten saßen oder auf den Schiffen arbeiteten.
    Sanchia war entzückt von den vielen kleinen Einzelheiten. »Sieh mal, hier ist das Arsenal!« Sie zeigte mit dem Finger auf den Schriftzug über der Zugbrücke, die den Eingang zu der Werft markierte. »Und hier die Basilika. Der Dogenpalast, der Campanile und der Uhrturm. Da, der Rialto mit der großen Brücke!«
    Marco strahlte sie an und nickte. »Es ist alles drauf! Alles!«
    Sanchia konnte sich kaum sattsehen. Einen schöneren Druck hatte sie noch nie vor Augen gehabt. Sie folgte den Linien des einzigartigen Plans mit dem ausgestreckten Zeigefinger und bewunderte die kunstvollen Verzierungen. De’ Barbari hatte sogar die Winde dargestellt, in Form von pausbäckigen Köpfen, die aus dem Wasser stießen und über das Meer pusteten. Als machtvollen Gott der Meere hatte er Poseidon illustriert, der im Vordergrund der Karte vor der Piazetta mit gerecktem Dreizack aus den Wellen der Lagune ragte, muskulös und in Siegerpose auf einem sich windenden Seeungetüm hockend, umgeben von Schiffen, bei denen jede haarfeine Linie der Takelage zu erkennen war.
    Sanchia streckte die Hand aus und zerzauste Marco liebevoll das Haar.
    »Hat Lorenzo es schon gesehen?«, fragte sie.
    Marco schüttelte den Kopf. »Er ist nicht da.«
    »Hat er gesagt, wo er hingeht?«
    »Die Köchin sagte, er besucht seine Eltern. Sie meint, das macht er immer, wenn er nicht Bescheid gibt, wo er hingeht.«
    »Oh. Ach so. Nun, sicher kommt er bald zurück, dann kannst du es ihm gleich zeigen.« Sanchia gab sich Mühe, unbeteiligt dreinzuschauen, wie immer, wenn die Rede auf ihre Schwiegereltern kam, doch leicht war es nicht, sich ständig diesen Anstrich unverfänglicher Gelassenheit zu geben.
    Während sie zurück auf ihr Zimmer ging, beschloss sie, ein ernstes Wort mit der Köchin zu reden.
    Marco machte sich ohnehin genug Gedanken über alle möglichen Dinge; das war nun einmal seine Art. Ganz abgesehen davon, dass ihm die Trennung von seiner Mutter immer noch zu schaffen machte, war es nicht nötig, dass er sich darüber auch noch den Kopf zerbrach. Er war noch keine zehn Jahre alt und daher bei weitem zu jung für blutige Familiengeheimnisse.
    Zudem war nach Lage der Dinge davon auszugehen, dass seine eigene Mutter bei manchen dieser Geheimnisse eine maßgebliche Rolle gespielt hatte. Zu plötzlich hatte sie ihn an jenem Morgen vor dem alten Palazzo abgeladen, zu deutlich schien der Zusammenhang zu dem, was kurz zuvor passiert war.
    Damals war Sanchia rasch zu der Einsicht gelangt, dass Giulia durchaus diejenige gewesen sein konnte, die das Gift gegen Giovanni und Caterina zum Einsatz gebracht hatte. Sie besaß ein starkes Motiv und die nötigen Mittel, sich zu rächen – und damit zugleich ihr Kind auf die denkbar wirkungsvollste Weise zu schützen.
    Caterina war zwar nicht tot, aber viel hatte nicht gefehlt. Seit dem Sturz war sie von der Hüfte abwärts gelähmt, und die meiste Zeit saß sie einfach nur in einem Lehnstuhl und schaute durch die Menschen hindurch wie durch Glas. Wenn sie überhaupt

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