Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Das Kind bewegte sich träge, die Füßchen und das spitze kleine Hinterteil dicht unter ihren Rippen und die Fäustchen unterhalb ihres Nabels. Manchmal, wenn sie ihren Bauch mit den Fingerspitzen betastete, meinte sie fast, das Kind sehen zu können. Wie es sich in ihr wand und streckte, sich wieder zusammenrollte und schließlich einschlief, an der Grenze zu einer mythischen Welt, auf einer Reise zwischen dort und hier, die bald ihr Ende finden würde.
Dann dachte sie an die Schmerzen und die Gefahren, und als hätte das Kind den Wechsel in ihrer Stimmung gespürt, versetzte es ihr einen scharfen Tritt.
Gleich darauf hellte sich ihre Laune schlagartig auf, als sie Lorenzo über den Gang näherkommen hörte. Die Tür ging auf, und er stürmte in den Raum, sprühend vor Energie und Lebenslust. Sofern der Besuch bei seinen Eltern ihn bedrückt hatte, war ihm nichts mehr davon anzumerken.
»Komm her«, sagte er einfach, und sie eilte, ohne zu zögern, in seine Arme.
Er umschlang sie und legte sein Kinn auf ihren Scheitel, und aufseufzend drängte sie sich an ihn, das Kind in ihrem Bauch eine kleine feste Kugel zwischen ihnen.
»Hab ich dir gefehlt?«, fragte er mit gedämpfter Stimme in ihr Haar.
»Ja«, gab sie ebenso leise zurück.
»Was möchtest du? Was kann ich für dich tun?«
»Halt mich einfach nur. Lass mich spüren, dass du da bist.«
Es war merkwürdig, doch sie hatte immer noch das Gefühl, sich seiner Anwesenheit vergewissern zu müssen. Er war seit jenen Geschehnissen im letzten August nicht mehr fort gewesen, sondern seit mehr als vier Monaten ununterbrochen zu Hause, ein absolutes Novum in der ganzen Zeit ihrer Ehe. Dennoch quälten sie in manchen Nächten furchtbare Träume, in denen er sie verließ und ans andere Ende der Welt segelte. Meist wachte sie dann weinend und desorientiert auf und beruhigte sich erst wieder, wenn er sie in seine Arme zog.
Er wusste davon und tat, was er konnte, um ihr diese Ängste zu nehmen. Wie kaum ein anderer Mann, den sie kannte – Sarpi gegenüber Eleonora vielleicht ausgenommen – war er rührend besorgt wegen ihrer Schwangerschaft und ruhte nicht eher, bis er sicher wusste, dass sie sich wohl fühlte und alles hatte, was sie brauchte. Er massierte ihr den schmerzenden Rücken, half ihr beim An- und Auskleiden und streifte ihr abends die Schuhe ab, wenn sie wegen ihres gewölbten Bauchs nicht mehr so weit herunterkam. Er brachte ihr Wein und Käsehäppchen ans Bett – und lachte, wenn sie misstrauisch nachfragte, wer es angerichtet hatte.
Nachts hielt er sie umfangen und drückte sie fest an seine Brust, damit sie sich geborgen fühlte, wenn wieder die schlimmen Träume kamen.
»Ich bleibe doch bei dir, meine Taube«, sagte er, wenn sie sich schluchzend an ihn presste und ihn bat, sie nicht zu verlassen.
»Ja, aber nur, bis das Kind da ist. Danach wirst du beizeiten wieder in aller Herren Länder reisen!«
»Das ist doch meine Arbeit.«
Seine Stimme hatte hilflos geklungen, und sie begriff, dass sie sich einer unumstößlichen Tatsache gegenübersah. Es ändern zu wollen wäre dasselbe gewesen, wie den weißen Tauben das Fliegen zu verbieten. Oder ihr selbst das Heilen. Jeder Mensch musste das tun, wozu er geschaffen war. Eleonora kochte, Pasquale machte Spiegel, ihr Schwiegervater war ein Vollblutpolitiker, ihr leiblicher Vater ein Weltumsegler und Händler, und ihr Mann war mit Leib und Seele Diplomat. Das war so unverrückbar wie Ebbe und Flut.
Sie schmiegte sich an ihn und fuhr mit beiden Händen über seinen Rücken. Er hatte das pelzbesetzte Wams abgelegt, und durch das Leinen seines Hemdes teilte sich die Wärme seiner Haut ihren Fingerspitzen auf erregende Weise mit.
»Mein Löwe«, flüstert sie gegen seine Brust.
»Bist du müde?«, fragte er. »Möchtest du dich hinlegen?«
»Müde bin ich nicht. Aber ich würde mich schon gern hinlegen. Mit dir zusammen.«
Er hatte nichts dagegen. Sie konnte spüren, dass er erregt war, und sie wusste auch, dass er sich deswegen schämte. Doch es würde auch diesmal nicht lange dauern, bis er seine Bedenken über Bord warf.
Sie hatte ihm erklärt, dass es nicht unziemlich war, wenn ein Mann seine schwangere Frau begehrte, und dass es dem Kind nicht schaden konnte, solange die Frau gesund war und Gefallen daran fand.
Natürlich war es sündig, schließlich hatte Gott dies nicht zum wahllosen Vergnügen zwischen Mann und Frau gestiftet, sondern es sollte allein der Erzeugung von Nachwuchs dienen;
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