Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sprach, dann meist zusammenhanglos und abgehackt, von sinnlosen Dingen. Sie redete von Festen, die sie besuchen wollte, und sie fragte, ob ihr Kleid bereits herausgelegt und ihr Haar frisch gewaschen und gebleicht sei. Besagte Feste indessen hatten bereits vor vielen Jahren stattgefunden, und wenn es ihr jemand sagte, fing sie an zu weinen.
Lorenzo hielt es für seine Pflicht, hin und wieder seine Eltern zu besuchen, vor allem seine Mutter, die sich, wie er berichtete, stets darüber zu freuen schien. In seiner Anwesenheit zeigte sie offenbar die wenigen positiven Regungen, zu denen sie noch imstande war.
Er selbst hatte gleich zu Anfang seine Einstellung bekräftigt. »Egal, was sie getan hat – sie ist immer noch meine Mutter. Es ist meine Christenpflicht, sie weiterhin zu ehren, und ich werde niemals gegen das vierte Gebot verstoßen. Sie ist krank an Körper und Seele, es dauert mich, wenn ich nur an sie denke.«
Mittlerweile war er natürlich im Bilde; er hatte nur einen Blick auf Marco werfen müssen, um bereits die Hälfte von allem zu wissen, und nachdem er Sanchia angedroht hatte, den Jungen auszufragen, hatte sie ihm hastig alles erzählt.
Das Gespräch war kurz und bitter gewesen, und Sanchia dachte nur ungern an die Einzelheiten zurück.
Sie hatte ihm all das gesagt, was er zuvor nie hatte hören wollen, und auch das, was sie selbst erst in Florenz erfahren hatte – Giulias Teil der Geschichte.
Caterina hatte Affären mit anderen Männern gehabt; anscheinend versuchte sie, auf diese Weise ihrem Wahn zu entfliehen. Zuerst schlief sie mit Giorgio Grimani, später mit seinem Sohn Enrico – und mit beiden gleichzeitig. Oft trafen sie sich auch zu dritt im Haus der Kurtisane. Giulia hatte nicht den Eindruck, dass Caterina mit diesem Arrangement sonderlich glücklich war, doch sie schien keine andere Wahl zu haben, nachdem sie sich einmal auf die verhängnisvolle Doppelaffäre eingelassen hatte. Sie betäubte sich bei diesen Zusammenkünften regelmäßig mit Alkohol und Drogen.
Zum letzten dieser Treffen brachte Enrico eine Kinderhure mit, die er – im Beisein seines Vaters und Caterinas – bei seinen sadistischen Ausschweifungen tötete. Giulia bemerkte zu spät, was passiert war. Als sie sich anschickte, die Büttel zu holen, griff Giorgio sie an, und Giulia tötete ihn in Notwehr.
Sie hatte es auf ihre eigene trockene Art in Worte gefasst. »Der Mistkerl hat mich gepackt und gewürgt. Also tat ich das einzig Vernünftige: Ich rammte ihm meinen Dolch in seinen fetten Hals. Danach hättest du diesen Feigling Enrico sehen sollen! Er war schneller weg als der Wind!«
Doch er war nur Minuten später zurückgekommen, mit den Signori di Notte als Verstärkung, und er hatte den ganzen Vorfall Giulia angelastet, auch den Tod des Mädchens. Caterina war zwar fast bis zur Bewusstlosigkeit betrunken, hatte jedoch, ohne zu zögern, Enricos Aussage bestätigt.
Der Grund wurde gleich darauf klar: Sie wusste, dass Giulia einen Sohn von Francesco hatte. Irgendwer musste ihr davon erzählt haben.
Noch während die Büttel Giulia verhafteten, teilte Caterina ihr lallend und höhnisch mit, was mit den bisherigen Müttern von Francescos Kindern und deren Sprösslingen geschehen war.
Sanchia konnte nur ahnen, auf welch entsetzliche Art Giulia damals im Kerker gelitten haben musste, und auch später noch in Florenz, bis endlich der Zwerg mit ihrem Sohn eintraf.
Sanchia ging zum Fenster und öffnete es, um zum Kanal hinunterzuschauen. Anschließend ließ sie es trotz der Januarkälte offen stehen. Falls Lorenzo wirklich seine Eltern besuchte, würde er bald zurückkommen. Er blieb nie lange in der Ca’ Caloprini, höchstens eine Stunde. Meist verbrachte er dort ohnehin mehr Zeit auf dem Dach bei den Tauben als im Wohnraum seiner Eltern; jedenfalls sagte er das, und sie hatte keinen Grund, seine Worte anzuzweifeln.
Als hätte sie durch ihre Gedanken sein Erscheinen heraufbeschworen, glitt im nächsten Augenblick eine Gondel in die Einmündung des Kanals, und Sanchia erkannte das rotgoldene Wappen des Hauses Caloprini.
»Lorenzo!«, rief sie, begeistert von seinem Auftauchen – und schlug sich peinlich berührt die Hand vor den Mund.
»Was ist?«, brüllte er erschrocken zurück. »Ist es so weit?«
»Nein«, rief sie, diesmal deutlich leiser.
Er schaute zu ihr hoch, und trotz der Entfernung konnte sie sehen, dass er grinste. Später würde er sie wieder damit aufziehen, dass sie, soweit es ihn betraf,
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