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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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erfasste sie ein Schauder. Dort wohnen konnte sie auf keinen Fall.
    Sie hatte sich hier in dem alten Palazzo eingerichtet, und ebenso in ihrem Leben mit den Kindern – auch wenn sie Lorenzos Fernbleiben als einen kaum zu ertragenen Verlust empfand, den sie einfach nicht akzeptieren konnte. Sie hatte Briefe ausgesandt, in alle Teile der bekannten Welt, hatte jedem Kaufmann, der Venedig zu Lande oder per Schiff mit Handelsgütern verließ, Botschaften mitgegeben, hunderte insgesamt. Sie fragte sich jeden Tag, wann die erste davon ihn erreichen würde, und sie betete, dass sie nicht mehr lange auf Antwort warten musste.
    »Was ist?«, fragte Francesco. »Wieder traurige Gedanken?«
    Sie hob die Schultern. »Nein, es ist … merkwürdig. In mir ist heute schon den ganzen Tag so eine Unruhe, die ich nicht erklären kann.«
    »Mir ging es oft genauso. In diese Stimmung kam ich immer, wenn es mich fortzog. Es hielt mich dann nicht mehr in Venedig.«
    Sie schaute ihn nachdenklich an. »Du bist ewig nicht auf Reisen gewesen. Warst du überhaupt je so lange Zeit an einem Stück hier in der Stadt?«
    Er lachte. »Wenn, dann nur sehr selten. Warum fragst du? Willst du mich loswerden?«
    »Nein, es interessiert mich nur. Planst du, bald wieder zu fahren? Es gibt doch neuerdings so viele verlockende neue Ziele.«
    »Das überlasse ich den großen Entdeckern. Cristoforo Colombo, Vasco da Gama, Pedro Cabral – sollen sie doch ins Ungewisse segeln. Ich werde nur noch eine große Reise antreten, und bis dahin habe ich hoffentlich noch viele Jahre Zeit.« Er wurde ernst. »Ich habe meinen Frieden gefunden, Sanchia. Für mich gibt es keinen Grund mehr, fortzulaufen.«
    Sie nickte zerstreut und umfasste ihren Anhänger, das silberne Schiff, das sie durch ihr ganzes Leben begleitet hatte. Warm und schwer lag es in ihrer Hand, und aus einem Impuls heraus stand sie auf, weil das Gefühl der Rastlosigkeit mit einem Mal so stark war, dass es sie nicht mehr im Sessel hielt. Nervös ging sie ein paar Schritte vor der Loggia auf und ab, dann trat sie hinaus auf den schmalen Balkon. Die Frühlingssonne war warm, für März beinahe heiß, und die Luft roch nach Meer und Blüten.
    »Das Schiff …«, flüsterte sie. Sie betrachtete es und glaubte plötzlich, das Metall vor ihren Augen zerfließen zu sehen; es schien sich zu strecken und zu erheben und eine zusätzliche, verheißungsvolle Symbolik auszustrahlen. Plötzlich war es nicht länger nur das, was es die meiste Zeit gewesen war. Wenn man es drehte und nah vor die Augen hob, verwandelte es sich wieder in jenen Gegenstand, den sie in ihrer Kindheit darin gesehen hatte.
    Ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen.
    »Was ist?«, fragte Francesco hinter ihr.
    »Ich weiß nicht. Mir war nur so, als würde …« Der Satz erstarb ihr auf den Lippen, als sie das Boot näherkommen sah. Girolamo stand darin, und er ruderte rasend schnell. Auf seinem kahlen Schädel glänzte der Schweiß, und sein Hemd war unter den Achseln und vorn auf der Brust dunkel vor Feuchtigkeit. Vor dem Bug teilten sich die Wellen, während er blitzartig ein ums andere Mal das Ruder eintauchte, sodass das Boot förmlich übers Wasser schoss.
    »Girolamo!«, rief sie.
    Er hob den Kopf und blickte zu ihr auf.
    Francesco trat neben ihr ins Freie. »Was will er hier?« Gleich darauf beantwortete er sich die Frage selbst. »Er hat offensichtlich eine wichtige Nachricht für dich.«
    »Girolamo, was ist geschehen?« Diesmal schrie sie so laut, dass ihre Stimme brach.
    »Er kann doch nicht reden«, sagte Francesco überflüssigerweise. »Du musst schon warten, bis er angelegt hat.«
    Doch Sanchia kannte Girolamo besser. Er ließ das Ruder fahren, streckte seine Arme weit zur Seite aus und wedelte ungestüm mit ihnen auf und ab.
    »Was ist das?«, fragte Francesco belustigt. »Will er fliegen wie ein Vogel? Wenn er nicht aufpasst, wird er noch das Boot zum Kentern bringen.«
    Sanchia umklammerte die steinerne Brüstung. »Die Tauben«, flüsterte sie. »Die Tauben sind zurückgekehrt.«
    Girolamo bewegte sich langsamer und lachte sie an. Trotz der Entfernung konnte sie erkennen, dass seine Augen vor Freude funkelten. Er ließ die Arme sinken, immer noch lächelnd, den Kopf leicht zur Seite geneigt, stumm und beredt zugleich.
    Sanchia erwiderte seinen Blick, zitternd und atemlos. Die Sonne spiegelte sich im Wasser des Kanals und blendete sie, doch es war nicht das helle Licht, das ihr Tränen in die Augen trieb. Einen Moment

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