Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
wollte, mir wegen Vater ins Gewissen zu reden. Und weil unsere Beziehung alt und verbraucht war, so wie die Perücke. Manche Dinge muss man ablegen, wenn sie einem keine Impulse mehr geben.«
Sanchia war dem Dialog mit wachsendem Grauen gefolgt.
Giovanni blickte seinen Bruder unter verschämt gesenkten Lidern hervor an. »Und, was hast du jetzt vor? Bringst du mich um?«
Francesco konnte ihn nur anstarren.
»Ich sehe, es würde dir schwerfallen«, sagte Giovanni. »Und ich habe diese Scharade gründlich satt. Es sollte alles ein friedliches und vernünftiges Ende nehmen.« Plötzlich schien er wieder ein ganz anderer Mensch zu sein, männlich, souverän und autoritär. Sogar seine Stimme klang tiefer und volltönender. »Schließlich bist du mein Bruder, und wir sind nicht Kain und Abel, sondern zivilisierte Menschen. Erweist du mir die Ehre und begleitest mich zum Palazzo Ducale? Es widerstrebt mir, mich in Fesseln abführen zu lassen.«
Francesco blickte ihn abwägend an, dann nickte er knapp.
Giovanni streckte den Arm aus und legte ihn seinem Bruder in kameradschaftlicher Geste um die Schultern, um so mit ihm zur Tür zu gehen. Sanchia sah, dass Francesco sich versteifte, doch er ließ es geschehen. Er wandte sich kurz zu ihr um und blickte sie gequält an. »Bitte denk nicht zu schlecht über mich. Ich hoffe immer noch, dass du mir eines Tages vergeben kannst.«
»Wofür?«, fragte sie. »Du hast meine Mutter geliebt, und dafür danke ich dir.«
Er lächelte flüchtig – und zuckte heftig zusammen, verständnislos auf den Dolch starrend, der ihm zwischen den Rippen steckte.
Während er sich schwankend an der Wand abstützte, wich Giovanni einen Schritt zurück. »Es tut mir wirklich leid, aber nach einem Mordprozess steht mir nicht der Sinn, und erst recht nicht nach meiner eigenen Enthauptung. Ganz zu schweigen davon, welche Schande es über die Familie bringen würde.« Seine Miene spiegelte zugleich Entsetzen und Entschlossenheit. »Ich hoffe, du überstehst das hier, denn ich liebe dich. Aber wenn ich die Entscheidung zwischen deinem und meinem Leben treffen muss, so wähle ich meines.«
»Was … hast du vor?« Francescos Stimme klang röchelnd.
»Ich werde es diesmal so machen wie du. Ich steige auf ein Schiff und segle fort, allerdings für immer. Nachdem ich hier … aufgeräumt habe.«
»Pasquale wird dich überall finden, wenn du mir und den Kindern etwas antust«, stieß Sanchia hervor.
»Oh, der einbeinige Spiegelmacher. Natürlich. Der Mann, der mich in den letzten Jahren in der Hand und unter Kontrolle hatte. Hätte er gewusst, dass ich selbst das Messer gegen seinen Meister und die kleine Sklavin geführt habe, wäre ich schon lange tot, so viel ist sicher.« Giovanni schüttelte den Kopf. »Fast hätte er mich vorhin schon erwischt, er ist mir auf dem Weg hierher in seinem Boot begegnet. Doch er schaute so verbissen geradeaus auf sein Ziel, dass er mich nicht gesehen hat. Nun denn, sicher wird er noch viele herrliche Spiegel machen.« Er hob die Schultern. »Wisst ihr, was mir am meisten leid tat? Dass ich den Glasmacher töten musste. Er war ein so großer Künstler.« Stirnrunzelnd kniete er neben seinem Bruder nieder und riss ihm das Messer aus der Brust. »Deine Brut umzubringen ruft nicht halb so viel Bedauern in mir wach.«
Francesco hob bittend die Hand und ließ sie kraftlos wieder fallen. »Tu es nicht.«
»Das verstehst du nicht. Ich muss es tun.«
Im nächsten Moment gab Giovanni einen erstickten Laut von sich und ließ das Messer mit aufgerissenem Mund und mit einem fassungslosen Ausdruck im Gesicht fallen.
Sanchia stand hoch aufgerichtet hinter ihm, die blutige Schere in der Faust. Sie strich sich das Haar aus der Stirn, während ihre Blicke sich kalt mit den seinen maßen.
»Das war für meine Mutter.«
»Du versuchst, mich umzubringen? Mit einem Frauenspielzeug?« Giovanni hustete kurz, dann wischte er sich die Lippen. Als er sah, dass Blut an seinen Fingern war, keuchte er ungläubig. »Du kleine …« Er hustete erneut und sah sich nach seinem Messer um.
Aus dem Treppenhaus war Eleonoras lautes Schluchzen zu hören.
Sanchia drehte lauschend den Kopf zur Tür, als sie die Schritte auf der Treppe hörte, das unverwechselbare Tok-tok , Tok-tok des Holzbeins.
Pasquale kam ins Zimmer. Er bückte sich und nahm das Messer an sich, das Giovanni aus der Hand gefallen war. Giovanni versuchte schwerfällig, sich hochzurappeln, und Pasquale half ihm dabei und
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