Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ein bisschen hier liegen«, flüsterte sie. »Einfach nur hier liegen.«
Als Giovanni zu sich kam, hatte er den widerwärtigen Geschmack der Niederlage auf den Lippen, wie immer, wenn sein zweites Ich seinen Geist und seinen Körper wieder verlassen hatte. Die Schminke juckte, und das seidene Kleid klebte verschwitzt und besudelt auf seiner Haut.
Neben ihm lag der Alte seltsam reglos und verkrümmt da. Giovanni schwang sich aus dem Bett und drehte seinen Vater zurück auf den Rücken. Der Alte starrte ihn mit weit offenen Augen an.
»Ich wollte dir nicht wehtun!«, rief Giovanni entsetzt. »Ich wollte nur … Was hast du?«
Der Alte gab kein Lebenszeichen von sich.
»Es kann nicht so schlimm gewesen sein!«, rief Giovanni mit überkippender Stimme. »Mich hat es schließlich auch nicht umgebracht!«
Doch ihn anscheinend schon. Der Alte war ganz ohne Frage tot.
»Du Scheißkerl«, kreischte Giovanni. Wütend hieb er mit den Fäusten auf ihn ein, doch das machte seinen Vater nicht wieder lebendig. Schließlich sah er es ein und hörte auf. Schluchzend wankte er auf den Gang hinaus – und blieb wie erstarrt stehen.
Sagredo kam die Treppe herauf und prallte unmerklich zurück, als er seiner ansichtig wurde.
»Mein Gott«, sagte er.
»Ja, da schaust du«, giftete Giovanni. »Das hättest du wohl nicht erwartet!«
»Alles, aber nicht, dich in Frauenkleidern zu sehen«, erwiderte Sagredo tonlos.
»Armer Jacopo«, höhnte Giovanni. Er zog sich die Perücke vom Kopf. »Und nun?«
Sagredo kam näher. »Ich habe ein Versprechen gegeben.«
Giovanni ging mit gesenktem Kopf auf ihn zu. »Bitte«, flüsterte er. »Es ist etwas Schreckliches passiert. Lass mich zuerst davon erzählen.«
»Nicht nötig. Ich habe unten genug gesehen und kann mir den Rest selbst zusammenreimen.«
»Du hast doch keine Ahnung, was wirklich los ist!«, rief Giovanni verzweifelt. »Was man mir angetan hat!«
Eine Spur von Mitgefühl zeigte sich auf Sagredos Zügen. »Doch, ich glaube schon. Du weißt doch, es ist mein Beruf, mehr zu wissen als andere. Und wenn ich es nicht weiß, kann ich es erraten. So war es schon immer. Nur dich habe ich nie völlig durchschaut. Ein bisschen ja, aber nicht weit genug.« Sein Gesicht war fahl und starr. »Doch das ist nun anders.«
»Was willst du jetzt tun?«
»Ein Versprechen erfüllen.«
»Niemand muss von alledem erfahren«, sagte Giovanni mit ängstlich klopfendem Herzen, während er einen bezeichnenden Blick hinter sich in die Kammer warf, wo der tote alte Mann lag.
»Dafür ist es zu spät.« Sagredo hob nur die Schultern. »Das weißt du selbst.«
»Wirklich?«, fragte Giovanni. Er hatte Sagredo erreicht und trat ihm mit voller Wucht in den Unterleib. Als Sagredo sich mit einem dumpfen Laut zusammenkrümmte, stieß Giovanni ihn rückwärts die Treppen hinunter. Mit einem erstaunlich lauten Krachen polterte der schwere Körper die Stufen hinab und überschlug sich dabei mehrmals.
Giovanni blieb lauschend stehen, doch von unten kam kein Geräusch. Lächelnd schritt er die Treppe hinunter. Sagredo lag auf dem untersten Absatz, und als er ihn mit der Fußspitze anstieß, reagierte er nicht. Giovanni sah, dass Sagredos rechtes Bein hoch oben am Oberschenkel gebrochen war, und auch der Hals war in einem seltsamen Winkel nach hinten verdreht. Jacopo Sagredo würde nirgends mehr hingehen.
Achselzuckend ging Giovanni weiter hinunter in den Portego, wo er achtlos über Rufios Leichnam stieg, der mitten im Raum auf dem Rücken lag, die Augen in anklagendem Schrecken weit aufgerissen und das schwarze Gesicht in Reglosigkeit erstarrt. Der Griff des Messer ragte in Höhe seines Herzens aus dem Brustkorb, und nur ein winziger feuchter Fleck verunzierte das prächtige Rot seines Wamses. Rufio hatte sich immer so gern hübsch angezogen, sein reizender dunkelhäutiger Geliebter, und es war Giovanni eine Freude, zu sehen, dass er auch im Tode noch eine tadellose Figur machte. Er hatte Francesco gesagt, dass alles unter Kontrolle war in der Ca’ Caloprini, der dumme alte Mohr, und er hatte ihn weggeschickt, Lorenzos und Sanchias wegen, damit ihnen nicht die Taufe verdorben wurde. Hätte Rufio nur besser ihn vorher gefragt, er hätte ihm schon sagen können, dass nichts mehr unter Kontrolle und schon gar nichts in Ordnung war. Beim besten Willen nicht. Oder war es vielleicht in Ordnung, wenn gleich drei Bastarde des einzigen Mannes, den er je geliebt hatte, die Serenissima bevölkerten? Das konnte nicht in
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