Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
schnüffelte. Es roch verbrannt. »Meine Koteletts!« Mit flatternder Schürze lief sie zum Herd.
»Kümmere du dich nur um das Essen.« Er folgte ihr. »Das kleine Schlitzauge weiß schon Bescheid, ich habe ihm gesagt, er soll Caterina auf keinen Fall ins Haus lassen. Ich gehe zu Sanchia und frage sie, ob ich sie und die Kinder lieber von hier wegbringen soll.«
Eleonora nickte, während sie die Pfanne vom Herd riss. »Sie ist oben in ihrer Schlafkammer.«
Er war bereits auf dem Weg zur Treppe. »Ich finde den Weg schon.«
Es klopfte kurz, und Sanchia, die sich gerade über die Wiege beugte, richtete sich auf.
»Ja?«, rief sie mit gedämpfter Stimme, in der Erwartung, dass Eleonora ihr das vorbereitete Nachtmahl bringen würde. Doch zu ihrem grenzenlosen Erstaunen stand Giovanni in der Tür.
»Vater«, sagte sie höflich nickend, während sie rasch einen großen, seidenen Schal um die Schultern wand. Das Wort kam seltsam gestelzt aus ihrem Mund, sie hatte sich nie angewöhnen können, ihn so zu nennen, obwohl ihm die Anrede von Rechts wegen zukam.
Er wirkte verzweifelt, und zu ihrer Schande fühlte Sanchia eine wilde Freude in sich aufsteigen. »Caterina … Ich meine, Mutter … Ist sie …«
Er kam ins Zimmer, blickte sich hastig um und schloss dann sorgfältig die Tür hinter sich. »Hast du keinen Riegel oder Schlüssel?«, fragte er besorgt.
Sie schüttelte befremdet den Kopf. »Das Haus wird bewacht.«
»Das habe ich gesehen. Dieser kleine Kerl da unten – ob er genug Kraft hat, einen entschlossenen Angreifer außer Gefecht zu setzen?«
»Tsing? Ganz sicher. Was ist denn los?«
Er kam näher und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Ich habe gehört, was passiert ist. Du bist verletzt!«
»Das weiß inzwischen wohl die halbe Stadt. Aber es geht mir wieder gut.«
»Diese Beule da sieht ziemlich schlimm aus, und dein Hals auch!«
Sie zog den Schal fester um die Schultern. »Das ist nicht der Rede wert.« Sie erwiderte seinen Blick mit wachsender Unruhe. »Was führt dich eigentlich her?« Sie merkte, dass es nicht allein seine Sorge wegen des Überfalls war, dessen Opfer sie heute geworden war, sondern dass ihn etwas Schlimmeres umtrieb.
»Was ist mit … Mutter?«, wiederholte sie ihre Frage von vorhin. »Ist sie … gestorben?«
Er nickte stumm.
Sie wäre fast zusammengebrochen vor Erleichterung. Es war schrecklich, sich über den Tod eines Menschen zu freuen, doch sie konnte nicht anders. Gleich morgen würde sie es beichten, in der Hoffnung, dass nicht nur Pater Alvise, sondern auch Gott ihr diese schlimme Sünde vergab.
Giovanni schlenderte zur Wiege und schaute hinein. »Sie ist entzückend«, sagte er leise.
Dann wandte er sich zu ihr um. »Marco – der Junge … Ist er auch im Haus?«
Sie nickte. »Er hat seine Kammer gegenüber, warum?«
Er zuckte die Achseln. »Nur so.« Als er sich zu ihr umdrehte, war sein Blick verändert. Auf seinem Gesicht stand ein Ausdruck tödlicher Entschlossenheit.
Sanchia fühlte, wie sich die Kälte von ihrer Körpermitte heraus auszubreiten begann und blitzartig auf ihre Arme und Beine übergriff. Wie gelähmt blieb sie stehen, als er auf sie zukam.
»Vater … Giovanni …«, stammelte sie.
Er lächelte sie an. »Um auf Caterina zurückzukommen – vor ihr musst du keine Angst mehr haben. Mir ist zwar immer noch nicht ganz klar, was an ihr so beängstigend gewesen sein soll – außer, dass sie mit solchen Schwachköpfen wie den Grimanis ins Bett ging. Das Einzige, was mich immer an ihr gestört hat, war ihre krankhafte Liebe zu meinem Bruder. Aber das alles hat sich ja nun erledigt.«
Sanchia starrte ihn an, betäubt vom Schock. Schreien, dachte sie seltsam teilnahmslos. Ich muss schreien. Ich muss nur den Mund öffnen und um Hilfe rufen.
Er schien ihre Gedanken zu lesen. Wie zufällig trat er wieder an die Wiege – und hob das schlafende Baby heraus. »Ein Laut«, warnte er. »Ein einziger Laut, und ich zerdrücke ihr den zarten Schädel.«
Sie schlug die Hände vor den Mund. »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, bitte nicht!«
Er zuckte die Schultern. »Es liegt an dir.«
»Ich tue alles.«
»Hol eine Schere.«
»Willst du …?«
»Natürlich will ich dein Haar«, sagte er gereizt. »Ich brauche neues. Die Perücke ist alt.« Er hielt inne und betrachtete sie argwöhnisch, während sie in der Truhe neben ihrem Bett fieberhaft nach der Schere kramte. »Und lass dir nicht einfallen, es selbst abzuschneiden, das mache
Weitere Kostenlose Bücher