Die Mächte des Feuers
befahl ihnen Jasper. »Da unten können Sie ungestört ein wenig turteln, wenn Ihnen noch immer der Sinn danach stehen sollte.« Er nahm die Waffe nicht eher herunter, bis zuerst Arsenie und danach Tobias die Holztreppe hinabgestiegen waren. Dann schloss er die Klappe wieder, und sie hörte, wie ein Riegel von außen vorgeschoben wurde.
Es war stockdunkel und kalt in ihrem Gefängnis. Arsenie hörte das Rumpeln der Brandung und leises, stetes Tropfen.
»Es tut mir leid, Madame, dass unser Ausflug so endet! Aber wie sollte ich ahnen, dass Sir Jasper wahnsinnig geworden ist?«, sagte Tobias in der Finsternis.
»Was denken Sie, was das zu bedeuten hat?«
»Er hat still und heimlich die Burg verkauft«, antwortete er ihr. »Das ist die einzige Erklärung. Damit es keiner in den Orten aus der Umgebung merkt, hat er die Lüge mit der Restaurierung erfunden.« Er lief umher, wie sie anhand seiner Schritte vernahm. »Es hätte einen Sturm der Entrüstung in den Dörfern gegeben, wenn sie bemerkt hätten, dass sie ihr Wahrzeichen verlieren.«
Arsenie hätte dieser Erklärung unter anderen Umständen Glauben geschenkt, aber nicht jetzt. Es gab einen anderen Grund, den Michael's Mount abzutragen, und nach den Worten von Jasper zu schließen, sollte heute Nacht der Rest davon weggebracht werden. Sicherlich verschwand dann der Weltenstein an den gleichen Ort wie die Burg – doch weswegen? Und wohin?
»Kommen wir irgendwie raus, Mister Tobias? Es gibt doch immer irgendwelche Geheimgänge auf Burgen.«
»Schon, aber nicht in ihren Verliesen«, gab er zurück. »Der einzige Weg hinaus ist die Klappe über uns.«
»Wenn das so ist, nehmen wir eben den Ausgang.« Sie hatte sich absichtlich nicht von der Stelle bewegt und befand sich noch immer an der Leiter.
»Ich bin nicht so stark, dass ich die Eisenriegel verbiegen kann, Madame.« Tobias klang beschämt.
»Lassen Sie nur.« Arsenie lehnte sich gegen die Sprossen und konzentrierte sich. »Ich mache das mit den Waffen einer Frau.« Sie hob die Arme, legte die Handflächen gegeneinander und wartete auf das Kribbeln, das sich meist einstellte, bevor sie Ektoplasma freisetzte.
XIX.
»Die Linie Prokop
Einer Legende nach soll der heilige Prokop den Teufel an die Egge gebunden und mit dem Kreuz angetrieben haben. Die Nachfahren der Linie benutzen Vorrichtungen, die den Eggen nachempfunden sind. Sie umspannen den Drachen wie Klammern von drei Seiten gleichzeitig und fügen ihm zahlreiche Wunden zu. Danach springen die Truppen herbei und erstechen ihn.«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöter im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 1. Juni 1924
25. Januar 1925, Avranches (Normandie), Königreich Frankreich
Silena und Grigorij erklommen Stufe um Stufe. Die Geräusche des Windes schwollen an; aus dem Säuseln war ein anhaltendes, nahezu einschüchterndes Pfeifen geworden.
»Das wird auf dem Dach gleich ein sehr gefährliches Unterfangen, Großmeisterin.« Grigorij schnaufte, hielt aber tapfer mit Silena mit. »Wollen wir nicht warten, bis das Unwetter abgeklungen ist?«
»Nein. Ich brauche Gewissheit, Fürst.« Sie hatte eine kleine Plattform erreicht, in der Wand befand sich ein Ausstieg. »Es wird einen Grund haben, warum Cyrano den Schädel von Aubert gestohlen hat. Und zwar heute. Jetzt will ich sehen, ob wir uns bei unseren Beobachtungen getäuscht haben oder ob wir die Statue finden.« Sie löste die Halterung, öffnete die Luke. Im nächsten Augenblick wurde ihr diese von einer starken Böe aus den Fingern gerissen; klappernd stieß sie gegen die Mauer und zerbarst, die Holzbretter fielen auseinander und stürzten auf das Kathedralendach.
»Das war kein gutes Omen«, meinte Grigorij.
»Es war der Wind, Fürst. Nichts weiter.« Silena schwang sich hinaus, hielt sich am Rand fest und ließ sich an der rauen Wand hinab auf die Schindeln gleiten. Strömender Regen tränkte ihre Kleidung und suchte sich jede freie Stelle, jede Naht, um an ungeschützte Haut zu gelangen. Der Sturm brandete gegen sie und versuchte, sie umzuwerfen, doch sie breitete die Arme aus wie eine Seiltänzerin und behielt das Gleichgewicht; erst als sie sicher stand, wagte sie, einen Blick rundum zu werfen.
Sie befand sich auf dem höchsten Punkt der Umgebung, und ein solches Panorama hatte sie noch niemals gesehen. Über dem Meer herrschte sternenklarer Himmel und brachte dem aufgewühlten Meer einen
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