Die Maechtigen
schmeichelte Ross der Boss. Er führte die letzte Reihe von Händeschüttlern an. Es war die VIP-Abschiedseskorte, die Wallace am Ende des Lieferanteneingangs erwartete und ihn zur Tür seiner gepanzerten Limousine begleiten würde.
»Hey«, rief eine Frau.
Wallace hatte den Arm schon für den obligatorischen Händedruck ausgestreckt, als er die letzte Person in der Reihe anblickte: eine schwergewichtige Frau in einem leuchtend blauen Kleid.
»Ich liebe dich«, sagte seine Schwester Minnie, beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange.
»Das sagst du nur, weil ich der Präsident bin«, neckte Wallace sie.
Minnie schlug ihm mit dem rosa Flamingostock gegen das Schienenbein.
Der Präsident lachte noch, als der Secret-Service-Agent auf den versteckten Knopf unter dem Türgriff drückte, um die Tür zu entsichern und Wallace in das Auto zu befördern. Und als sich Wallace bückte und in das Auto stieg, als er mit Minnie lachte wie Bruder und Schwester, hätte er fast vergessen, wohin er jetzt fuhr.
Fast.
»Homerun startet«, flüsterte einer der Agenten in das Mikro an seinem Handgelenk. »Ankunft im Archiv in voraussichtlich vier Minuten.«
66. Kapitel
Ich jage mit voller Geschwindigkeit um die Ecke, und meine Schuhe rutschen über den grünen Boden im zwölften Stockwerk. Wenn meine Rechnung stimmt, habe ich noch einige Minuten, bevor der Präsident kommt. Die brauche ich auch. Wenn ich vorbereitet sein will.
»Können Sie sich ausweisen?«, fragt eine gelassene Stimme, als ich um die Ecke fege. Der Mann dehnt jede Silbe wie Kaugummi.
Diese Stimme kenne ich.
Aber obwohl ich den Mann im schwarzen Kampfanzug fast umrenne, achte ich weder auf ihn noch auf sein schwarzes Gewehr. Ich registriere nicht einmal den SCIF am Ende des Flures. Ich sehe nur Gespenster. Mein eigenes Gespenst. Das von Clementine. Und Orlando. Vor achtundvierzig Stunden standen wir in eben diesem hellblauen Gang, mit derselben Marmorverkleidung, betrachteten denselben Raum mit der passenden hellblauen Metalltür. Ich wünschte, es wäre nur ein Déjà-vu. So ein Déjà-vu kann man leicht abschütteln. Aber das hier … das ist, als würde ich auf Orlandos Grab treten.
Eine kalte Angst packt mich, schnürt mir den Hals zusammen, so dass ich kaum Luft holen kann. Sie erinnert mich daran, dass ich nur nach diesen Klempnern suche und nach dem, was sie in dieses Wörterbuch geschrieben haben, um zu beweisen, dass sie meinen Freund getötet haben, nicht ich.
»Ich sagte, Ausweis«, wiederholt der Agent.
»Ja … natürlich … Entschuldigung.« Ich zücke meinen Ausweis. »Arme hoch«, blafft er mich an und zieht einen schwarz-gelben Stab aus seinem Gürtel, der wie eine flache Taschenlampe aussieht. Ein Metalldetektor.
Klar. Er kennt meinen Namen und weiß, dass ich ihn heute betreue. Klar, dass sie mich nicht in seine Nähe lassen, ohne mich gründlich zu durchsuchen.
Als er mit dem Stab unter meine Arme fährt, blinzele ich einmal kurz und sehe Orlandos Kinn mit dem Grübchen, das breite Lächeln, wie er den Kaffeebecher festhält und Clementine und mich in den Raum führt. Ich blinzele noch mal und sehe nur den leeren, hellblauen Gang.
»Kein Grund zur Nervosität«, meint der Secret-Service-Agent und befestigt einen Button an meinem Revers, der besagt, dass ich keine Metallteile an mir habe. Dann bedeutet er mir mit einem Handzeichen, dass ich den SCIF betreten darf. »Der Präsident beißt nicht. Meistens jedenfalls.«
Ich kann nicht mal so tun, als fände ich das lustig, und marschiere rasch durch den Gang zur Gegensprechanlage an der Wand. Ich drücke auf den Knopf, und ein rotes Licht fängt an zu blinken.
»Hier spricht Beecher«, sage ich. »Ich öffne jetzt SCIF 12E1.« Dasselbe hat Orlando vor zwei Tagen zu Khazei gesagt.
Ich bin darauf gefasst, dass Khazei mich anschnauzt. Er beobachtet mich ständig, deshalb werde ich wohl kaum den Präsidenten treffen, ohne dass er sich einmischt. Zu meiner Überraschung jedoch …
»Kann losgehen«, antwortet eine weibliche Stimme. »Moses kommt in vier Minuten an.« Sie benutzt unseren internen Codenamen für den Präsidenten. »Viel Vergnügen.«
Die Sprechanlage verstummt, und ich haste zum Eingang des SCIF. Ich öffne das Kombinationsschloss und spüre, wie die Galle in meiner Speiseröhre brennt.
Als ich den abhörsicheren Raum betrete, bemerke ich einen Schatten links von mir. Ich bin nicht alleine.
»Kommen Sie schon …« Khazei knallt die Metalltür zu und schließt
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