Die Maechtigen
Nico. »Ich bin ja da. Jetzt wird alles gut.«
93. Kapitel
»Gehen Sie bitte zur Seite«, sage ich zu Nico und versuche, an ihm vorbei zur Fondtür des Toyota zu kommen.
Nico rührt sich nicht von der Stelle. Er weicht keinen Zentimeter, aber er bemerkt meinen Blick. Auf den Rücksitz. Auf den schwarzen, blutüberströmten Mann.
»Ich kenne ihn«, erklärt Nico. »Das ist der Friseur.«
»Wie bitte?«
»Er kommt hierher, um die Haare zu schneiden. Griffins Haare. Aber manchmal schaue ich hinterher nach. Griffins Haare sind oft gar nicht geschnitten. Ich hab es ihnen gesagt, aber sie haben nie …«
»Nico, gehen Sie mir aus dem Weg!«
»Der Friseur … dass Sie ihm das angetan haben … Er hat mich beobachtet, hab ich recht? Ich weiß, dass sie ihre Augen überall haben.«
»Nico …«
»Deswegen sind Sie zurückgekommen, stimmt’s? Um das zu erledigen. Um mich zu beschützen …«
»Sie zu beschützen?«
»Ich kann Ihr Rasiermesser sehen. Es liegt auf dem Beifahrersitz.« Seine Augen zucken, als er kurz das Innere des Autos betrachtet. »Ah, ich sehe, wie Sie ihn getötet haben.«
»Das ist nicht …«
»Ich kann das vollkommen verstehen«, fährt er fort und nickt nachdrücklich. »Ich habe es Ihnen ja gesagt. Das hier war Ihre Mission … Ihre Prüfung. Benedict Arnolds Prüfung. Und Sie … verstehen Sie denn nicht? Sie haben bestanden, Benjamin. Statt George Washington zu hintergehen, hat man Ihnen die Chance gegeben, ihn zu beschützen. Und genau das haben Sie getan … Sie haben Ihr Leben riskiert, um mich zu beschützen.«
Seine Wahnvorstellungen gehen mir auf die Nerven. Ich stoße ihn zur Seite, reiße die Fondtür des Wagens auf und taste nach dem Puls des Friseurs. Nichts. Er hat keinen Herzschlag mehr.
Von der anderen Seite des freien Feldes, über das man zum medizinischen Gebäude gelangt, läuft ein Wachmann der Security auf uns zu.
»Sie müssen jetzt verschwinden«, sagt Nico, der den Wachmann beobachtet. »Die können ja nicht wissen, dass Sie das gemacht haben.«
»Ich habe nichts gemacht«, erkläre ich und starre immer noch auf den Friseur.
»Sie brauchen nicht um ihn zu trauern. Er ist unterwegs zu seiner nächsten Mission.«
»Hören Sie endlich damit auf! Es gibt keine verdammte Mission!« Ich explodiere vor Wut und schlage seine Hand von meiner Schulter. »Und keine verdammte Prüfung. Oder einen George Washington! Und hören Sie endlich auf, mich Benedict Arnold zu nennen. Es ist nur eins wichtig, das da«, fauche ich und zeige auf den Leichnam des Friseurs. »Ich weiß, dass Sie und sie … Sie sind dafür verantwortlich … Ich habe das Besucherbuch gesehen. Ich habe Clementines Namen gefunden. Sie würden alles tun, um hier herauszukommen, das ist mir klar. Sie würden sogar Ihre Tochter dazu zwingen, den Präsidenten zu erpressen …«
»Wie? Wie haben Sie sie genannt?«
»Erzählen Sie mir bloß nicht, Sie wussten, dass Clementine Ihre Tochter ist«, erwidere ich provozierend.
Er weicht einen kleinen Schritt zurück und bleibt dann vollkommen regungslos stehen. »Sie hat mir gesagt, sie würde an ihrer Doktorarbeit schreiben. Aber Studenten … besuchen mich normalerweise nicht. Deswegen habe ich es gewusst«, gibt Nico zu. Sein Auge zuckt vor Nervosität, und plötzlich sieht er … er sieht wirklich besorgt aus. Er öffnet den Mund und will etwas sagen, schließt ihn jedoch sofort wieder. Er muss jetzt selbst die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen. Dann jedoch hört das Blinzeln auf, und die besorgte Miene weicht dem Ausdruck von Schmerz. Ich kann mir nicht helfen, aber es kommt mir vor, als hätte ich irgendetwas falsch verstanden. Vielleicht ist das gar keine gemeinsame Vater-und-Tochter-Operation, wie ich gedacht habe.
»Wenn ich die Katzen gefüttert habe, ist Clementine immer … Ich habe sie an einem Mittwoch getroffen. Als der Friseur gerade die Haare schnitt«, platzt Nico heraus. »Sie hat ihm geholfen. Sie hat dem Friseur gesagt, dass Griffins Haare besser aussehen, wenn sie vorne länger sind. Er hat ihr zugehört. Und dann hat sie gelächelt.«
Der Wachmann ist mittlerweile kaum noch fünfzig Meter von uns entfernt. Und am Eingangstor hebt sich vor dem Wachhaus die weiß-orange gestreifte Schranke. Ein schwarzes Auto biegt auf die Zuliefererstraße ein. Die Kavallerie ist da.
»Dann habe ich auch gelächelt«, fährt Nico fort, der nicht darauf achtet. »Aber sie hat es von dem Friseur erfahren, richtig? Sie hat sein Geständnis
Weitere Kostenlose Bücher