Die Maechtigen
das Auto mit Dallas und Beecher nach einer kleinen Fehlzündung im Verkehr verschwunden war.
Sie durfte auf keinen Fall entdeckt werden. Und vor allem musste sie herausfinden, ob den beiden noch jemand folgte.
Sie wartete also eine volle Minute, beobachtete die Straße und alle dort geparkten Autos. Nichts rührte sich.
Dafür blinkten jetzt hinter dem Eingangstor auf der Zuliefererstraße auf dem Gelände von Sankt Elizabeth jede Menge orangefarbener Alarmleuchten. Offenbar die Security des Krankenhauses. Wahrscheinlich wurden Nico jetzt schon Medikamente eingeflößt, wegen des Schlamassels, den der Friseur in seiner Panik angerichtet hatte.
Die Fahrerin war in Versuchung, dorthin zu gehen, aber sie hatte tatsächlich keine Wahl.
Es gab nie eine Wahl.
Bis sie das Problem gelöst hatte, das so viele andere Probleme nach sich gezogen hatte.
Das Problem, für das sie ganz alleine verantwortlich war.
Beecher.
Inzwischen war das schwarze Auto längst verschwunden und fuhr seinem Ziel entgegen.
Clementine atmete tief durch, fädelte sich dann in den Verkehr ein und bemühte sich, gelassen zu bleiben.
Dass Beecher einen Vorsprung hatte, spielte keine Rolle.
Denn sie wusste, wohin die beiden fuhren.
95. Kapitel
Vier Monate zuvor
St.-Elizabeth-Krankenhaus
Der Mann mit der schwarzledernen Reißverschlusstasche kam nie zu spät.
Er kam immer donnerstags. Um vier Uhr. Pünktlich auf die Minute.
Aber als Clementine einen Blick auf ihre Armbanduhr warf, stellte sie fest, dass es schon ein paar Minuten nach vier Uhr war …
»He, Tracey!«, rief der ältere schwarze Mann mit dem silbernen Haar und dem silbernen Schnauzbart, als er durch die Schwingtüren zur Schwesternstation ging und dabei kurz einen Blick in einen der vielen offenen Räume warf. Genau wie auf der Intensivstation gab es auch in der gerontologisch-psychiatrischen Abteilung keine Türen in den Zimmern. »Wie läuft der Donnerstag?«
»Genau wie der Mittwoch«, antwortete die Schwester und lächelte ihn flirtend an.
Drüben beim Waschbecken tat Clementine so, als würde sie eine Wasserschüssel für die Katzen füllen, während sie den Wortwechsel verfolgte, den sie schon in der Vorwoche mitbekommen hatte … und auch schon etliche Wochen davor. Sie kannte seine Gewohnheiten mittlerweile sehr genau und wusste, wann sie ihren Vater nach oben schicken musste, damit er mehr Katzenfutter holte. Der ältere Schwarze kam nicht zu spät. Wie alle Friseure wusste er Pünktlichkeit zu schätzen.
»Warten sie schon auf mich?«, erkundigte er sich jetzt.
»Als hätten sie eine große Wahl«, bemerkte die Schwester und lachte erneut aufreizend.
Clementine leerte und füllte dieselbe Wasserschüssel immer wieder und hielt sich dabei geschickt hinter den Pfeilern in dem Raum versteckt. So konnte sie den Friseur beobachten, wie er die Ledertasche öffnete, in der er seine scharfen Scheren transportierte. Vor beinahe zwei Monaten hatte sie ihn das erste Mal hier gesehen. Er erklärte, dass er den Patienten die Haare schneiden wollte. Es gab also keinen Grund, ihm einen zweiten Blick zu gönnen. Bis Clementine bemerkte, dass er zwar durch einige Räume ging, zum Schluss jedoch immer bei demselben Patienten landete: dem Typ mit der Schwarzen-Billard-Acht-Tätowierung.
Clementine versuchte, nicht daran zu denken. Sie wollte nicht immerzu jeden verdächtigen und das Schlimmste über die Menschen denken. Bis dann ihre Mutter im Hospiz gelegen und Clementine am Ende den Namen ihres Vaters verraten hatte. Da hatte sie begriffen, dass es Charakterzüge gibt, die Gott uns mit auf den Weg gibt. Man kann ihnen nicht entkommen.
Sie machen uns aus.
Als Clementine dann das erste Mal durch den Raum in das Zimmer gespäht hatte, bemerkte sie, wie der Friseur mit dem Rücken zu ihr neben dem Bett der Schwarzen Acht stand. Er hielt sich krampfhaft am Bettgestell fest, als benötigte er einen Halt. Er schnitt dem Tätowierten gar nicht die Haare. Seine Hände bewegten sich nicht, und er ließ die Schultern hängen. Er weinte. Und das war letztlich der Auslöser, warum Clementine den ersten Schritt in Richtung dieses Zimmers tat.
Sie hatte nicht spionieren wollen, das redete sie sich jedenfalls ein. Sie wollte ihn nur trösten. Als sie jedoch an der Tür war, hörte sie zwei Worte, bei denen sie augenblicklich innehielt. Es waren zwei Worte, die sie veranlassten, den Kopf zu neigen und sich auf den Friseur zu konzentrieren. Diese beiden Worte brachten sie dazu,
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