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Die Maechtigen

Titel: Die Maechtigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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mit einer alten, eingebildeten Verliebtheit zu füllen. Aber in Wahrheit ist die größte Bedrohung für Clementines Wohlbefinden nicht ihr Vater, sondern die Tatsache, dass sie wie ich auf diesem Video im SCIF zu sehen ist.
    Das Band bleibt weiterhin verschwunden. Und mir ist auch ohne Obduktion klar, warum Orlando gestorben ist. Man braucht nicht lange zu raten, wer wohl der Nächste sein wird.
    Ich habe jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Viereinhalb Minuten duschen. Sieben Minuten rasieren, Zähne putzen und alles andere.
    »Ping«, verkündet mein Computer aus der Küche. Unten steht mein Laptop auf dem Tisch, der meine eBay-Gebote verwaltet. Mein Haus ist nicht sonderlich groß, und es war nicht teuer. Dafür steht es in Rockville, Maryland, statt in Washington D. C.
    Aber es gehört mir. Die erste große Anschaffung, die ich mir nach fast hundert Hochzeiten geleistet habe. Die Einnahmen aus den Nebengeschäften bei eBay und die Ersparnisse von meinem Regierungsgehalt von zwei Jahren sind auch dafür draufgegangen. Mein zweiter großer Kauf war der Verlobungsring. Daran habe ich bis jetzt zu knacken.
    Ich gehe hinunter in die Küche. Auf der vorletzten Treppenstufe, auf dem beigefarbenen Treppenläufer liegt fein säuberlich ein Stapel mit einem Dutzend Postkarten. Auf jeder Karte ist ein unterschiedliches Schwarzweißfoto der Freiheitsstatue aus den Jahren 1901–1903 zu sehen. Auf der letzten Stufe liegt ein weiterer Stapel; Schwarzweißfotos von Baseballstadien aus derselben Zeit. Überall in der Küche verteilt finden sich weitere Haufen: auf dem Tresen Fotos von alten deutschen Zeppelinen; auf der Mikrowelle Fotos von Dampflokomotiven, auf dem Kühlschrank verschiedene Stapel mit Hunden, Katzen und jeder Menge alter Autos und sogar auf dem Sitz des hellorangefarbenen Lounge Chairs von 1960, den ich auf einem Flohmarkt in Georgetown gekauft habe, liegen Fotos. Jeder Stapel zeigt ein anderes Exponat der Pan-Am Expo in Buffalo, N. Y. aus dem Jahre 1901, inklusive einem großen Stapel Fotos ausschließlich von der Kamelparade.
    Für die meisten ist das ein ungeheures Chaos. Für mich ist es die Art, wie die Welt einmal kommuniziert hat, nämlich mittels Postkarten.
    Wenn man damals, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, ein neues Auto kaufte oder ein neues Kleid oder ein Baby bekam, machte man ein Foto, schickte es zu Kodak, und die sandten einem sechs schwarzweiße Fotopostkarten zurück. Die hat man dann an Familie und Freunde weitergeleitet. Diese Fotopostkarten zu sammeln war das beliebteste Hobby in Amerika. Doch dann begann der Erste Weltkrieg, und die Produktion kam zum Erliegen, weil die besten Druckereien in Deutschland waren. Eine neue Firma, die American Greeting Card Company , füllte die Lücke und druckte billigere Karten, die jedoch von den Amerikanern nicht so gut angenommen wurden.
    Der letzte Sargnagel für die Postkarte war natürlich das Telefon. Warum sollte man eine Karte schicken, wenn man einfach anrufen und die Neuigkeiten sofort mitteilen konnte? Heute jedoch gehören diese Fotopostkarten bei eBay zu den beliebtesten Artikeln. Für das Foto eines Footballspiels an der University of Michigan aus dem Jahre 1912 habe ich sage und schreibe 2,35 $ bekommen.
    Für meine Mutter sind die Karten ein weiteres Beispiel für meine zwanghafte Beschäftigung mit der Vergangenheit. Für meine Schwestern, die mich erheblich besser kennen, stellen sie nur eine Ablenkung von Iris dar. Das mag schon stimmen, aber das heißt nicht, dass Ablenkungen nicht auch nützlich sein können: Die Karten haben mich eigenartigerweise wieder aufs richtige Gleis geführt und mich aus der Versenkung geholt. Als dann eine alte Freundin sich per E-Mail nach fünfzehn Jahren erkundigte, wie es denn so ginge, habe ich nicht lange darüber nachgedacht, was in meinem Leben schiefläuft, sondern die Chance ergriffen und die Wiederholungstaste gedrückt. »Wie schön, dass du dich gemeldet hast.« Das ist weit mehr wert als die neuesten Gebote auf eBay.
    Aber als ich die Stapel auf dem Küchentisch neu sortiert und mir mein Rosinenmüsli zubereitet habe, habe ich nur noch eines im Kopf: Ich will mir auf dem Computer die Todesanzeigen und Nachrufe ansehen, was ich jeden Morgen mache. Meistens geht es dabei um fremde Menschen, aber heute gebe ich unter w ashingtonpost.com Orlandos Namen ein. Sein Nachruf steht nicht drin.
    Ich gebe das Wort Archiv ein. Auch nichts. Es gibt nicht mal eine kurze Erwähnung im Lokalteil. Ich weiß,

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