Die Maechtigen
mich ins Wasser platschen und zieht mich wieder hoch.
All das jedoch verblasst neben der Szene, die Clementine gerade fasziniert betrachtet: Nico Hadrian in einem hellgelben Overall, wie er gerade die Pistole hebt und ohne jede sichtbare Gefühlsregung den früheren Präsidenten Leland Manning zu töten versucht.
Für die meisten Amerikaner ist das bereits Geschichte. So wie die erste Mondlandung. Oder Kennedys Ermordung. Jede Einstellung ist bereits Legende: die verschwommenen Fingerspitzen des Präsidenten, als er in die Menge winkt … seine schwarze Windjacke, die sich wie ein Ballon aufbläst … selbst die Art, wie er die Hand der First Lady festhält, als sie auf die Rennstrecke treten und …
»Jetzt hältst du mich bestimmt für verrückt«, meint Clemmie und starrt weiter auf den Bildschirm.
»Ich halte dich nicht im Geringsten für verrückt.«
»Solltest du aber. Ich bin immerhin mit einem Verrückten verwandt … Ich sitze hier und schaue mir diese alten Berichte wie eine Verrückte an. Okay, ich habe seinen Namen gegoogelt, weil du mich hast warten lassen, sicher, aber trotzdem ist das fast erbärmlich. Ich bin praktisch völlig durchgeknallt. Und doch, sieh mal … wenn er aus der Menge hervortritt: Er sieht genau aus wie ich.«
Auf dem Bildschirm lächeln der Präsident und die First Lady strahlend im Partnerlook. Und werden großzügig von der Sonne erleuchtet, als sie ihrem Beinahe-Blutbad entgegengehen.
»Okay, es ist wirklich ein bisschen verrückt, dass du dir dies hier anschaust«, gebe ich zu.
Sie wirft mir einen gespielt gereizten Blick zu. »Du platzt wirklich fast vor Charme, hab ich recht?«
»Ich wollte dich nur zum Lachen bringen. Übrigens, warum bist du hergekommen? Ich dachte, wir hätten vereinbart, lieber keinen Staub aufzuwirbeln, bis wir …«
Sie steht auf, greift in ihre Handtasche, zieht ein kleines quadratisches Geschenk heraus, das in die, wie es aussieht, Zeitung von heute morgen eingewickelt ist, und gibt es mir.
»Was ist das?«
»Wonach sieht es denn aus? Es ist ein schlecht eingepacktes Geschenk. Nun mach es schon auf.«
»Ich weiß nicht …« Ich werfe vollkommen verwirrt einen Blick über die Schulter. »Du bist hergekommen, um mir ein Geschenk zu geben?«
»Was ist an einem Geschenk auszusetzen?«
»Weiß nicht … Vielleicht weil ich durch Orlandos Tod und die Entdeckung der Identität deines Vaters dein Leben gestern irgendwie ziemlich durcheinandergebracht habe?«
Sie nimmt mir das Geschenk wieder aus der Hand.
»Beecher, erzähl mir etwas, das dich aus dem Gleichgewicht gebracht hat, irgendetwas.«
»Was meinst du damit?«
»Irgendeinen Vorfall aus deinem Leben. Such dir einen Moment aus. Etwas, was dich verletzt hat … einen Schmerz, der so schlimm war, dass du dir fast deine Wange blutig gebissen hast. Du weißt schon, denk an jemanden, der dich wirklich gefühlsmäßig durch die Mangel gedreht hat.«
»Warum sollte …?«
»Okay. Erzähl mir, wer Iris ist.« Clementine erinnert mich daran, dass die Menschen, die dich am längsten kennen, auch am leichtesten deine Schwachstellen finden.
»Warum kommst du mir jetzt mit Iris?«
»Ich habe gestern gehört, wie Orlando ihren Namen genannt hat. Und innerhalb von zwei Sekunden war deine Miene genauso leidend wie jetzt gerade … als hätte dir jemand in die Eier getreten. Ich kenne das Gefühl; was glaubst du wohl, wie oft ich als Diskjockey gefeuert worden bin? Also was ist mit Iris passiert? Ist sie gestorben?«
»Sie ist nicht tot. Sie ist nur eine alte Freundin. Wir haben uns getrennt.«
»Okay, sie hat dich also wegen eines anderen Kerls verlassen.«
»So war das nicht …«
»Beecher, ich will dich nicht aufregen … oder in deinem Privatleben herumschnüffeln.« Sie klingt, als meinte sie jedes Wort ernst. »Aber der Punkt ist doch der: Was auch immer geschehen ist, wie sehr Iris dich verletzt hat, du bist jetzt mit ihr durch, richtig?«
»Vollkommen«, behaupte ich. »Natürlich.«
»Okay, also bist du nicht mit ihr fertig«, stellt sie fest. Ich kämpfe überrascht mit einem dicken Knoten im Hals und dem alten, beißenden Selbstzweifel, den Iris so tief in mir verankert hat. »Aber du wirst es schaffen, Beecher. Denn genau das hast du gestern bei mir erreicht. Ein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt, wer wohl mein Vater ist. Dank dir weiß ich es jetzt. Sicher, es ist nicht gerade die angenehmste Antwort. Wahrscheinlich ist es wohl die beschissenste Antwort aller Zeiten,
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