Die Maechtigen
einfach wieder zum Kind. Als sie den Weg betreten, bleibe ich dicht am Eingangsbereich des Gebäudes, damit mindestens ein halbes Fußballfeld zwischen uns liegt. Als ich jedoch beim ersten Schritt gegen einen Brocken Streusalz trete, fluche ich. Nico zuckt zusammen.
Aber er dreht sich nicht um. Er wirft nicht einmal einen neugierigen Blick über die Schulter. Aus der Berichterstattung über ihn im Netz weiß ich, dass sein Hörvermögen und seine Sehkraft weit stärker ausgeprägt sind als bei den meisten von uns. Deswegen hat er beim Militär ja auch die Ausbildung zum Scharfschützen absolviert. Ich bleibe wir angewurzelt stehen.
Nico dagegen geht zielstrebig weiter und umklammert dabei die braune Tüte. Er überzeugt sich nur mit einem kurzen Seitenblick, dass Clementine, der offensichtlich nicht wohl bei der ganzen Sache ist, ihm folgt.
Ich verlasse den Eingangsbereich und gehen ihnen langsam nach. Dabei suche ich Deckung hinter den Bäumen. Links von mir patrouilliert der Wachmann immer noch am Eingangstor. Als ich schließlich den Weg erreiche, sieht er die beiden ebenfalls.
Es ist schwer zu sagen, wohin Nico seine Tochter führt. Der schmale Pfad schlängelt sich durch den Schnee nach rechts und dann den Hügel hinab zu einem weiteren Backsteinhaus aus den sechziger Jahren. Auf dem ganzen Gelände ist dies der einzige Weg, der geräumt ist. Selbst mir wird klar, was das heißt: Das ist der einzige Weg, den die Patienten nutzen dürfen.
Die beiden sind jetzt schon so weit entfernt, dass ich nicht mehr sehen kann, ob sie sich unterhalten. Schließlich erreichen sie den Eingang des Gebäudes, und ich mache mich darauf gefasst, ihnen hinein zu folgen. Zu meiner Überraschung jedoch gehen sie nicht hinein, sondern Nico deutet auf eine Holzbank vor dem Haus.
Die beiden setzen sich, und Nico stellt die braune Tüte zwischen sie. Selbst aus der Entfernung kann ich erkennen, dass Clementine vor der Tüte zurückzuckt. Was kann in der Türe sein? Unwillkürlich rechne ich mit dem Schlimmsten.
In diesem Moment tauchen die Katzen auf.
Eine grau getigerte Katze rennt aus dem Gebäude, gefolgt von einer dicken schwarzen. Dann kommen zwei rotbraune Kätzchen mit ihrer Mutter. Insgesamt sind es sechs Katzen, die alle in eine Richtung laufen: zur Bank. Direkt zu Nico.
Der Wachmann links am Tor patrouilliert immer noch am Zaun und hat sich kaum gerührt. Offensichtlich ist dieser Anblick ganz alltäglich für ihn. Nico greift in die Tüte und wirft den Katzen Futter hin. Er füttert die Katzen. Die Frau in dem Glaskabuff sagte ja, dass er diese Aufgabe in seiner Freizeit erledigt. Doch jetzt beugt Nico sich vor und streichelt die Tiere. Er streichelt ihren Bauch, den Hals, liebkost sie zwischen den Ohren, er kennt offenbar ihre Lieblingsstellen.
Er füttert diese Katzen nicht nur.
Er liebt sie.
Und so wie sie sich an ihn drängen, immer wieder um seine Beine streichen, ist klar, dass seine Liebe erwidert wird.
Nico sitzt jetzt kerzengerade auf der Bank. In dieser steifen Haltung wirkt er ein wenig wie ein Außerirdischer. Er hat nur Augen für die Katzen. Ich kann zwar keine Lippen lesen, aber ich verstehe etwas von Körpersprache. Clementine neben ihm zappelt herum und wirkt noch unbeholfener als er. Sie kratzt sich am Handgelenk, dann den Hals, als säße etwas unter ihrer Haut, das ihr zusetzte. Im Archiv konnte sie nicht einmal einen Blick auf dieses Video von dem Attentat mit Nico werfen, und hier ist es noch schlimmer. Ganz gleich, wie sicher sie sich war, sie ist für das hier nicht bereit. Bis …
Plötzlich springt Nico auf und bleibt kerzengerade stehen.
Die Katzen schrecken bei der abrupten Bewegung zusammen, drängen sich dann jedoch wieder um seine Beine.
Nico wirft einen Blick auf seine Uhr, und bevor Clementine reagieren kann, setzt er sich in Bewegung und geht zur anderen Seite des Gebäudes. Er ist so gelassen wie vorher. Mit einer kurzen Handbewegung fordert er Clementine auf, ihm zu folgen.
Nein, geh nicht mit …!
Sie zögert, schaut sich um. So dumm ist sie doch nicht! Sie muss doch … Ihr muss doch klar sein, mit wem sie es hier zu tun hat. Aber sie kann nicht anders. Selbst ein paar Katzen folgen Nico wie dem sprichwörtlichen Rattenfänger. Einige jedoch, unter anderen die beiden schwarzen mit der weißen Brust und den weißen Socken, verhalten sich reservierter und laufen weg. Clementine muss sich entscheiden, welche Katze sie sein will.
Sie braucht nicht lange. Schon seit fast
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