Die Maechtigen
Verlobte.«
»Wie?«
»Vorhin hast du mich gefragt, wer Iris war. Ich habe geantwortet, dass sie meine Freundin war. Sie war meine Verlobte. Sie war diejenige, welche. Wir hatten schon die Einladungen verschickt. Die Tischordnung war festgelegt. Eines Abends haben wir nach ein paar Margaritas sogar schon Namen für das Baby ausgesucht. Es gibt Schlimmeres, das stimmt, aber als es auseinanderging, hat es sich so angefühlt, als hätte sie mein ganzes Leben zerstört. Es war alles wie tot. Du warst sehr aufrichtig zu mir, und ich hatte das Gefühl, dass ich deine Ehrlichkeit erwidern müsste.«
»Dann hat sie dich also wegen eines anderen verlassen?«
»Jetzt gehst du zu weit. So aufrichtig sind wir noch nicht zueinander«, gebe ich zurück.
Sie schaut immer noch nach hinten. Sie nickt dabei leicht, als flüstere sie jemandem eine Frage zu.
»Ich bin gar kein Discjockey«, platzt es schließlich aus ihr heraus.
»Was?«
»Ich arbeite nicht als Discjockey für den Radiosender«, sagt Clementine. »Ich verkaufe Anzeigen. Ich dachte, du würdest … Ich verkaufe Radiowerbung für Limonaden und Autohändler, und weil wir in Virginia sind, sorgen wir nach Kräften dafür, dass die Leute vom Kautabak abhängig bleiben.«
»Aber du hast doch gesagt …«
»Ich wollte immer Discjockey werden; ein paar Jahre habe ich das auch mal bei einem College-Sender gemacht. Aber in den letzten zehn Jahren habe ich nur … tja, ich war mal ein Pfau, jetzt bin ich nur noch ein Staubwedel.« Sie dreht sich zu mir herum und fügt hinzu: »Tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, Beecher. In der ersten E-Mail hast du von deinem tollen Job beim Nationalarchiv geschrieben, und als du mich dann gefragt hast, was ich so mache, wollte ich nicht den Eindruck erwecken, ich wäre ein Versager.«
»Clementine, ich hätte nie angenommen …«
»Und der ersten Lüge folgten die anderen, einfach so. Ich war plötzlich kein Klinkenputzer bei Werbekunden mehr, sondern auf magische Weise zum Discjockey mutiert, führte das Leben, das ich mir immer erträumt hatte. Das Schlimmste daran war, wie leicht dieser ganze Mist mit all den erlogenen Details aus mir heraussprudelte; der alte Jazz, den wir spielen und …« Sie weicht meinem Blick aus. »Ich bin wie er, oder? Dieses erfundene Leben … ich bin eine geborene Lügnerin, Beecher. Genau das bin ich.«
»Dann sollte ich das jetzt wohl auch nicht glauben.«
Eigentlich kein schlechter Witz, aber leider hilft er nicht.
»Ich dachte immer, das Schlimmste wäre, Nico zu treffen; aber nachdem ich ihn jetzt kennengelernt habe, ist das Unerträglichste, wie viele Dinge in meinem Leben plötzlich auf so traurige Weise Sinn bekommen.«
Ich will widersprechen, aber in dem Moment klingelt das Handy in meiner Tasche. Diesmal kann ich es nicht ignorieren.
»Wo steckst du?«, kommt Totte sofort zur Sache.
»Was ist los? Ist etwas passiert?« Diesen Tonfall kenne ich, und mich beschleicht der Verdacht, dass er die Videokassette gefunden hat.
»Du meinst außer der Tatsache, dass du dich bei einem Mädchen einschmeichelst, das du kaum kennst, in das du aber albernerweise dennoch verknallt bist?«
»So ist es nicht.«
»Natürlich ist es so nicht. Du sitzt mit einem wunderschönen Mädchen in einem makellosen Auto. Beecher, ich rate nicht. Ich bin Wissenschaftler.«
»Totte, würdest du bitte aufhören, Sachen zu sagen, aufgrund derer ich das Gespräch am liebsten auf der Stelle beenden würde.«
»Also gut, dann hör zu: Immer noch keine Spur von dem Video, aber es ist mir gelungen, Dustin Gyrich aufzuspüren«, sagt er, »der Typ, der Entick’s Dictionary ausgeliehen hat, immer wenn Präsident Wallace das Archiv aufgesucht hat«, wiederholt er noch mal sicherheitshalber. »Ich kann dir eins sagen, Beecher, es ist eine heiße Spur.«
»Wieso? Hat er irgendwie eine auffällige Vergangenheit?«
»Oh, das kann man wahrlich sagen«, erklärt Totte. »Ich habe mich durch unsere Ausleihzettel gegraben, und soweit ich daraus entnehmen kann … tja …« Selbst durch das Telefon kann ich hören, wie Totte mit der Zunge schnalzt. »Der gute Dustin Gyrich leiht seit über 150 Jahren bei uns Bücher aus.«
34. Kapitel
» Sie haben dir nicht geglaubt, oder?«, erkundigte sich die First Lady.
Im dritten Stock des Gebäudes stand Nico in der Ecke eines vergitterten Balkons und beobachtete den taubenblauen Mustang, der sich über die schmale, gepflasterte Straße zum Wachhäuschen am Eingangstor
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