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Die Maechtigen

Titel: Die Maechtigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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Vater.
    Ich kenne sie von den Fotos auf dem Schreibtisch: Das sind Orlandos Frau und sein ältester Sohn. Sie haben vermutlich Orlandos Schreibtisch ausgeräumt und seine Habseligkeiten in dem Karton verstaut. Sie schlurfen schwerfällig zu den Fahrstühlen und machen den Eindruck, als würden sie mit einem Sack voller Ziegelsteine auf den Schultern unter Wasser gehen. Aber es ist nicht der Karton, die sie herunterdrückt.
    Einen kurzen Augenblick stehen wir drei ganz ruhig im Flur. Sein Sohn lächelt mir zu, wie man sich eben so anlächelt, wenn man zusammen auf den Fahrstuhl wartet. Ich sollte jetzt das Wort ergreifen.
    Ich muss etwas sagen.
    Mir fällt jetzt der gute Rat wieder ein, den mir irgendjemand gab, nachdem er vom Tod meines Vaters gehört hatte: Unsere Väter verlassen uns nie. Niemals.
    Ich könnte auch etwas darüber sagen, wie freundlich Orlando immer zu allen war.
    Ich kann ihnen diese letzte Erinnerung mit auf den Weg geben.
    Aber dann rumpelt der Fahrstuhl heran, die Türen öffnen sich, und Orlandos Frau und Sohn treten hinein …
    Ich bleibe einfach im Flur stehen. Wie gelähmt.
    Sie starren beide auf den Fußboden und vermeiden jeden Blickkontakt.
    Die Türen gleiten zu, und weg sind sie.
    Und ich stehe da und werde wieder einmal daran erinnert, dass Schuld sich noch schmerzlicher anfühlt als der Verlust eines geliebten Menschen.
    Ich drücke auf den Fahrstuhlschalter, aber als der Aufwärtspfeil aufleuchtet, höre ich plötzlich Stimmengewirr aus dem Büro der Security. Ich gehe zurück und werfe einen kurzen Blick in das Großraumbüro mit den vielen Arbeitsnischen. Überall stehen kleine Gruppen von Mitarbeitern und tuscheln miteinander.
    Das ergibt einen Sinn. Orlandos Witwe und sein Sohn sind gegangen, und damit gibt es keinen Grund mehr für das Schweigen, das sie sich auferlegt hatten, solange sie seinen Schreibtisch ausräumten.
    »Haben Sie die beiden gesehen?«, fragt mich die Empfangsdame. »Es bricht einem das Herz.«
    Sie sagt noch etwas, aber ich bin abgelenkt, weil ich Orlandos Büronische auf der linken Seite des Großraumbüros mustere. All die Fotos … die Urlaubspostkarten … die Spuren eines Lebens … sogar der Bleistiftbehälter der Wisconsin-Badgers … alles ist verschwunden. Ich suche nach seinem Computer, aber der ist auch weg. Das dürfte wohl bedeuten, dass die Videokassette auf keinen Fall mehr hier sein kann. Aber ich muss das trotzdem kontrollieren. Auf diesem Video sind Clementine und ich zu sehen, und es bestimmt unser Schicksal. Abgesehen jedoch von einigen alten Kugelschreibern und einer Fotokopie an der Wand des Verschlags, einer Gebrauchsanweisung für den Anrufbeantworter, zeugt nur noch das große Telefon mit seinem langen Kabel und den zwei blinkenden Lampen davon, dass hier einmal jemand gearbeitet hat. Es sieht aus wie eine Insel auf dem ansonsten leeren Schreibtisch.
    Orlandos Tischtelefon.
    Khazei behauptet, ich sei die letzte Person gewesen, die von Orlando angerufen wurde. Was nicht heißt, dass ich auch der Letzte gewesen bin, der ihn angerufen hat.
    Ich will hastig an seinen Schreibtisch treten, halte mich jedoch zurück. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, denn die halbe Belegschaft steht herum und beobachtet mich. Dann denke ich wieder an Orlandos Frau und seinen Sohn … und an all das, was ich ihnen eben hätte sagen sollen. Das hier ist genau der richtige Moment. Vergiss den Culperring, das Wörterbuch und Nicos Gefasel; ich muss herausfinden, was wirklich mit Orlando geschehen ist. Das ist das Mindeste, was ich der Familie schulde.
    Ich setze mich auf seinen Stuhl und sehe mich um, ob ich beobachtet werde. Aber zu meiner Überraschung blickt nur eine Person in meine Richtung, und die ist eben erst ins Büro gekommen. Ich drehe mich zu ihr herum, als sie herüberschaut. Es ist Rina.
    Ich schaue der Mona Lisa in die Augen, aber bis ich mich einmal mit dem Stuhl gedreht habe, ist sie schon verschwunden.
    Aber ich habe sie gesehen. Ich weiß, dass sie da war.
    Nur kann ich mich im Augenblick nur um ein Problem zurzeit kümmern.
    Ich tippe die Kodenummer für die Anrufer-ID auf die Tastatur des Telefons. Zuerst steht dort Security-Apparat 75208. Das sind die Typen von der Rezeption, sie wollten wahrscheinlich wissen, wann Orlando seine Schicht antritt. Der nächste Anruf kommt von jemandem aus der Abteilung Neuerwerbungen. Dann ein Anruf von Westman, Aristoteles, Apparat 5287.
    Totte? Warum hat er Orlando angerufen?
    Ich scrolle weiter durch

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