Die Maechtigen
abgefangen, denn sie kannten alle unsere militärischen Spione.« Ich werfe einen Blick zu dem Wachmann, der uns beobachtet. Er glaubt offenbar, dass er alles unter Kontrolle hat. »Da beschloss Washington, nicht mehr dem Militär zu vertrauen, und hat stattdessen eine Gruppe ganz normaler Zivilisten …«
»Das ist das Wichtigste«, fällt Nico mir ins Wort. »Der Culperring bestand nicht aus Militärs. Es waren ganz normale Menschen, eine Gruppe, von der niemand etwas wusste. Selbst Washington kannte ihre Namen nicht. Auf diese Weise konnten sie nicht infiltriert werden. Denn niemand, nicht mal der Oberbefehlshaber, wusste, wer dazugehörte. Aber der Ring bestand aus normalen Menschen«, sagt er und durchbohrt mich mit einem prüfenden Blick seiner Schokoladenaugen. »Aus Menschen … wie uns.«
Ich lasse mich auf die Bank fallen und frage mich, ob er jetzt meinetwegen noch verrückter wird oder ob er einfach immer so verrückt ist. Auch Clementine ist beunruhigt. Aber sie ist jenseits aller Fragen.
»Aber was haben diese Typen vom Culperring«, wende ich mich an Nico, »mit Entick’s Dictionary zu tun?«
»Das sollten Sie sich selbst fragen«, meint Nico und richtet seinen Zeigefinger auf mich.
»Das ist wirklich völlig verrückt«, erwiderte ich. »Ich habe nicht die geringste Vorstellung, was der Culperring mit einem Wörterbuch wollte.«
»O doch, Sie wissen es«, widerspricht Nico. »In Ihrem Innersten müssen Sie es wissen.«
»Woher sollte ich das wissen? Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?«
»Nico, bitte … Er sagt die Wahrheit. Er weiß nicht, was mit dem Buch los ist … Wir haben keine Ahnung!« Clementine fixiert ihren Vater.
Nico starrt zurück. Die meisten Menschen würden diesen Blick nicht aushalten. Ihr gelingt es. Für Nico ist das wichtig. Ihr Blick ist genauso hypnotisch wie seiner. Er nickt, langsam zunächst, dann immer schneller.
»George Washington hat mit dem Culperring mit Hilfe dieses Buches kommuniziert«, erklärt er schließlich.
»Wie hat er kommuniziert?«, frage ich. »In diesem Wörterbuch sind nur leere Seiten.«
Nico beobachtet den Wachmann, aber nicht lange. »Man kann den Wind nicht sehen, aber trotzdem wissen wir, dass er da ist. Genau wie Gott. Wir wissen, er ist da. Wir fühlen es. Nicht alles kann so leicht verstanden werden.«
Ich schlage das Wörterbuch auf und sehe nur die handschriftliche Widmung.
Exitus Acta Probat.
Und dann sind da noch ein paar Seiten, die nicht herausgerissen worden sind … »Alles leer«, sage ich.
»Natürlich sind sie leer«, entgegnet Nico. Sein Brustkorb hebt und senkt sich, als er immer schneller atmet. Der Wachmann ist ihm jetzt völlig egal. »Immerhin haben Sie es hier mit George Washington zu tun«, erklärt er und betrachtet das Wörterbuch. »Er wusste natürlich, dass man danach suchen würde. Deswegen hat er immer mit seiner Medizin geschrieben.«
»Medizin?«
»Das war sein Codename dafür«, sagt Nico. »So hat er seine unsichtbare Tinte genannt.«
32. Kapitel
»Sie glauben mir nicht«, sagt Nico und fixiert mich immer intensiver. »War klar, dass Sie so denken.«
»Was soll das denn jetzt wieder heißen?«, gebe ich zurück. »Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Sie irren sich. Sie liegen vollkommen falsch«, knurrt er. Seine Brust pumpt wie wild.
»Noch drei Minuten!«, ruft der Wachmann, damit wir nicht vergessen, dass er noch da ist. »Nutzen Sie die Zeit.«
Nico lockt die beiden schwarzen Katzen, aber sie ignorieren ihn weiterhin.
Clementine weiß, dass ich jetzt auf keinen Fall gehen werde. Sie beobachtet uns immer noch, kommt jedoch nicht näher. Sie hat genug gehört. Sie will endlich von hier verschwinden.
»Sagen Sie mir.« Nico ist aufgeregt, geht zur Bank und setzt sich dort auf seine Hände. »Als Sie das Buch gefunden haben … Sie, damit Sie es hierherbrachten. Ausgerechnet Sie …«
»Warum sagen Sie das immer wieder?«, fahre ich ihn wütend an.
»Benjy …«, fleht Clementine.
»Benjy?« Nico wirft einen Blick auf den Ausweis an meiner Brust. »Heißen Sie so?«
»Mein Name ist Beecher.«
Er kontrolliert noch einmal meinen Ausweis, auf dem mein voller Name in ganz kleiner Schrift steht. Aber er kann ihn problemlos entziffern. White, Beecher Benjamin. Er fängt an zu lachen. Es ist ein gereiztes, atemloses Lachen, das er durch die Zähne presst. »Perfekt, besser geht es nicht, hab ich recht?«
Jetzt ist er nicht mehr aufgeregt, jetzt ist er vollkommen
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