Die Maechtigen
übergeschnappt.
»Ja. Das ist es, oder?«, fragt er und dreht den Kopf ganz nach links. Als ob er mit jemandem sprechen würde, der gar nicht da ist. »Das ist der Beweis …«
»Nico …!« Mir reicht’s langsam.
»… das beweist es, oder? Jetzt können wir …«
»Nico, wenn Sie Hilfe brauchen, kann ich jemanden rufen.«
»Sie sind meine Hilfe!«, fährt er mich an. »Sie helfen mir. Begreifen Sie das nicht? Sie sind ihr hierher gefolgt, um mich zu treffen … Unser Leben … unser aller Leben hat einen Grund.«
»Nico, Sie haben gesagt, es sei eine Prüfung für mich«, sage ich. »Erklären Sie mir das bitte.«
Vor uns springt eine grau getigerte Katze auf eine Mülltonne und landet sanft auf der Ecke.
Nico zittert jetzt.
»Das war’s, Nico! Die Zeit ist abgelaufen!«, ruft der Wachmann und nähert sich uns zügig.
»Verabschiede dich …«
»Woher kennen Sie dieses Buch?«, frage ich hastig. »Was zum Teufel geht hier vor?«
»Ich habe keine Ahnung, was hier passiert«, antwortet Nico. Er ist wieder völlig ruhig, sitzt aber immer noch auf seinen Händen. »Ich weiß nicht, wer das Wörterbuch benutzt und auch nicht, was sie planen. Aber Sie haben das Buch gefunden … Sie, ein Mann der Bücher … und Sie heißen Benjamin … wie ihr Vorgänger.«
»Moment mal. Mein Vorgänger? Wer war mein Vorgänger?«
Nico wartet, schaut wieder nach links. Seine Lippen bewegen sich nicht, aber er nickt. Ich weiß nicht, wer sein eingebildeter Freund ist, aber ich kann erkennen, dass er ihn offensichtlich um Erlaubnis bittet.
»Wir haben alle Seelen, Benjamin. Und unsere Seelen haben eine Bestimmung. Eine Bestimmung, der wir so lange folgen, bis wir sie erfüllt haben.«
»Du meinst Reinkarnation?« Clementine bemüht sich wirklich ernsthaft, etwas von all dem hier zu kapieren, bewegt sich aber keinen Schritt in unsere Richtung.
»Nico, jetzt komm schon!«, ruft der Wachmann. »Sofort.«
Nico nimmt ihn kaum wahr.
»Ich weiß, wer Sie sind, Benjamin. Ich sehe Sie genau wie die Indianerhäuptlinge, die George Washington als Jungen gesehen haben. Sie wussten damals schon, wer er war. Sie wussten, dass er auserwählt war. Genau wie ich es wusste, als ich Sie sah.«
Na klar, jetzt ergibt es viel mehr Sinn, denke ich. »Wir sind also alle wiedergeboren, und ich bin … lassen Sie mich raten: George Washington?«
»Nein, aber nein; nein, ganz und gar nicht«, widerspricht Nico. »Sie … Sie sind der Verräter.«
»Nico, ich streiche dir zuerst das Postprivileg und dann den Saftwagen …!«, droht der Wachmann.
Nico springt auf und marschiert zu dem Wachmann, der vor dem Haus wartet. Dabei schaut er über die Schulter zu mir zurück. Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. »All diese Jahre … haben Sie denn nicht die Schlachten gesehen, die zu schlagen ich auserwählt wurde? Ich bin George Washington.« Nico bohrt den Daumen in seine Brust. »Aber Sie … ich kenne Sie, Junge. Und ich weiß, wie das hier enden wird. Das ist Ihre Prüfung. Ich bin George Washington. Und Sie … Sie sind Benedict Arnold.«
33. Kapitel
»… und jetzt weißt du auch, warum man es eine Anstalt für Geisteskranke nennt«, sage ich, reiße das Lenkrad herum und zwinge Tottes alten Mustang in einer scharfen Rechtskurve vom Parkplatz.
»Können wir nicht einfach verschwinden?«, fleht Clementine mich an.
»Benedict Arnold? Er hört, dass mein mittlerer Name Benjamin ist, und schon bin ich Benedict Arnold? Er hätte auch Benjamin Franklin oder Benjamin Harrison nehmen können. Ich hätte sogar Benjamin Kubelsky akzeptiert.
»Wer ist Benjamin Kubelsky?«
»Jack Benny«, sage ich zu ihr und trete so heftig aufs Gaspedal, dass die Räder im Schneematsch durchdrehen. »Aber dass dein Dad mir in die Augen schaut und sagt, dass ich irgendwie die Seele eines der schlimmsten Verräter der Geschichte habe – ganz zu schweigen davon, dass er versucht hat, uns bei lebendigem Leib zu fressen …«
»Nenn ihn bitte nicht so.«
»Wie?«
»Dad«, bittet sie. »Nenn ihn nicht meinen Dad. «
Bei diesen Worten drehe ich mich zu ihr herum. Wir folgen dem Hauptweg zurück zum Eingangstor von Sankt Elizabeth, und Clementine starrt in den Rückspiegel, während das Krankenhaus hinter uns verschwindet. Sie hat die Arme verschränkt und die Beine angezogen. Man könnte glauben, sie wäre stinksauer. Aber ich habe diesen Haltung schon einmal an ihr gesehen. Im Archiv, als sie sich unbeobachtet fühlte. In den letzten vierundzwanzig
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