Die Mädchen (German Edition)
um
sie nacheinander überzuziehen. Dann erhob er sich, machte einen Schritt auf sie
zu, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich auf den Mund. Sie
erwiderte den Kuss und sah ihn anschließend prüfend an.
„Und du bist sicher, dass du allein
fahren willst?“
„Ganz sicher. Du brauchst dir keine
Sorgen zu machen. Wahrscheinlich ist es gar nichts. Meine Mutter neigt zu
großen Dramen.“
Zur Bekräftigung seiner Worte
verdrehte er die Augen, doch noch während er das sagte, wurde ihm klar, dass er
in diesem Fall mit etwas anderem rechnete. Er hatte richtig Schiss davor, was
ihn im Krankenhaus erwartete. Dabei war es weniger die Angst um seinen Vater,
sondern mehr die Furcht, wie seine Mutter damit umgehen würde. Doch das alles
konnte er Luisa unmöglich sagen, sonst hätte sie nicht locker gelassen und
Luisa im Krankenhaus mit seiner Mutter war das Letzte, das er gebrauchen
konnte.
„Geh ruhig wieder ins Bett.“
„Bist du verrückt?“ Sie klang
regelrecht empört. „Wenn du glaubst, dass ich jetzt schlafen kann, hast du dich
aber getäuscht. Bitte ruf mich an, sobald du etwas hörst.“
„Übertreib nicht. Es reicht doch,
dass meine Mutter mich nicht zur Ruhe kommen lässt.“
„Ich werde gleich richtig
ärgerlich“, sagte Luisa und ihre Augen begannen seltsam zu funkeln. „Ich werde
die ganze Zeit das Telefon neben mir liegen haben und ich erwarte deinen
Anruf.“
„Ist ja schon gut“, gab er nach. Er
gab ihr noch einen Kuss und löste sich dann von ihr. Er ging in den Flur, nahm
seine dunkle, kurze Cordjacke mit Fellfutter von der Garderobe und schlüpfte in
seine festen Schuhe. An der Tür lächelte er ihr noch mal zu und dann verließ er
die Wohnung. Was er dort an Zeit vertrödelt hatte, um Luisa den Unbesorgten
vorzuspielen, versuchte er wettzumachen, indem er wie ein Geisteskranker die
Treppe ins Erdgeschoss hinunterlief. Als er die Eingangstür unten aufriss, fiel
ihm buchstäblich jemand entgegen. Er konnte sie gerade noch rechtzeitig am Arm
festhalten, bevor sie auf dem Boden landen konnte.
„Oh“, sagte sie nur. Doreen
Siewers, seine Nachbarin aus dem ersten Stock.
„Geht es wieder?“ fragte er.
Doreen richtete sich auf.
„Alles….klar.“
Sie lallte. Hatte sie wohl zu tief
ins Glas geschaut. Er hatte sich schon so etwas gedacht, weil er das Gefühl
hatte, eine Fahne zu riechen. Er hielt sie noch ein wenig am Arm fest.
„Ist wirklich alles klar?“
Sie machte sich gerade und
imitierte eine salutierende Handbewegung. „Aye Aye Sir.“
Ihn überzeugte sie nicht. Und das
Stolpern am Fuß der Treppe bestätigte seinen Eindruck. Er griff erneut nach
ihrem Arm, was sie herumfahren ließ.
„Lass mich los“, fauchte sie.
Er zuckte zurück, als ob sie ihn
ins Gesicht geschlagen hätte. „Ich wollte dir nur helfen.“
Erst dachte er, sie wollte auf ihn
losgehen, doch dann brach sie in ein hysterisches Lachen aus. „Du mir helfen?“
stammelte sie unter Krämpfen hervor. „Das ist wirklich komisch.“
Er hatte keine Ahnung, was daran so
komisch sein sollte. Aber es machte keinen Sinn, sich mit einer Betrunkenen auf
eine Diskussion einzulassen, weshalb er nur mit den Achseln zuckte. Außerdem
hatte er wirklich Wichtigeres vor, als sich um Doreen zu kümmern, deren
einziges Problem im Moment augenscheinlich darin bestand, dass sie nicht
abschätzen konnte, wie viel Alkohol sie vertragen konnte. Er machte kehrt und
wollte durch die Tür, als sie wieder zu reden anfing.
„Das ist ja mal wieder typisch.
Sobald es ernst wird, verpisst er sich.“
Seltsam, wie die Worte plötzlich
ohne erkennbare Schwierigkeiten ihren Mund verließen. Er fuhr herum, obwohl er
wusste, dass er es bereuen würde.
„Warum gehst du nicht einfach nach
oben und schläfst deinen Rausch aus? Du musst doch sicher morgen früh zur
Arbeit.“
Das Licht erlosch und er betätigte
den Schalter.
„Wer bist du? Meine Mutter?“
Er wusste, dass er sie einfach
stehen lassen sollte, aber sein Pflichtgefühl war stärker als der Unwillen,
sich mit ihr anzulegen. Er war einfach zu gut für diese Welt. So seufzte er und
machte wieder einen Schritt auf sie zu. „Ich bringe dich jetzt nach oben.“
„Das wirst du nicht. Ich kann sehr
gut allein auf mich aufpassen.“
Wieso erschien sie ihm auf einmal
so nüchtern? „Na schön.“
„Such du dir jemand anderen, auf
den du aufpassen kannst.“ Sie schlug sich theatralisch mit dem Handrücken an
die Stirn. „Ach ja, die hast du ja schon
Weitere Kostenlose Bücher