Die Mädchen (German Edition)
noch keiner von ihnen gekommen
war. Das konnte er so genüsslich auskosten, dass es an Selbstgefälligkeit nicht
zu überbieten war und sie alle zur Weißglut brachte, auch wenn jeder wusste,
dass es nur Spaß war.
Frohloff hatte ihn und seine Arbeit
früher häufiger kritisiert, auch weil er selbst gern Hauptkommissar gewesen
wäre, doch das gehörte der Vergangenheit an. Er hatte am eigenen Leib erfahren,
dass Funke sie alle als gleichwertige Mitglieder eines Teams ansah, für das er
lediglich die Verantwortung trug. Er konnte ein strenger Chef sein, aber er
hätte einen Fehler, den einer von ihnen gemacht hatte, niemals nach außen
getragen, sondern gegenüber Dritten immer selbst die Verantwortung dafür übernommen,
solange der Fehler nicht vorsätzlich begangen worden war.
„In der Schule sind wir überhaupt
nicht weitergekommen. Natürlich waren alle ganz geschockt, aber so richtig gut
gekannt hat Sina scheinbar keiner. Die Lehrer und die Mitschüler haben sie als
eher verschlossen beschrieben.“
„Also keine beste Freundin?“
Siewers wechselte einen Blick mit
ihm, zweifellos immer noch ein wenig ärgerlich darüber, wie er mit ihr bei den
Tarnats umgegangen war. Er konnte nachvollziehen, warum sie beleidigt war, aber
er gab sich selbst keine Schuld daran. Er hatte nur Funkes Anweisung befolgt
und die war eindeutig gewesen. Außerdem, hätte er vor den beiden Tarnats
zugeben sollen, dass sie sie ganz umsonst aufgesucht hatten? Das würden sie
noch früh genug erfahren.
„Nicht wirklich. Wir haben mit
jedem einzelnen aus der Klasse gesprochen und was dabei an Informationen
herauskam, war mehr als dürftig. Ihre Sitznachbarin wusste nicht mal, dass sie
eine Schwester hat, geschweige denn, wo sie wohnt.“
„Und es machte nicht den Eindruck,
als ob einer von den Schülern bewusst etwas zurückhielt.“ Behrend wiegte den
Kopf hin und her. „Sie waren alle entsetzt über den Mord, das ja, aber wirklich
traurig oder berührt schien niemand zu sein.“
„Dann muss Sina sich in der Klasse
ja ziemlich allein gefühlt haben. Das war sicher nicht leicht für sie.“
Ihr Boss nickte ihr zu. „Sie hatte
wirklich etwas von einer Außenseiterin, aber das schien eher von ihr
auszugehen. Sie wurde jedenfalls nicht gehänselt oder so, war kein Opfertyp.
Aber was vielleicht interessant ist, sowohl den Mitschülern als auch den
Lehrern ist nicht aufgefallen, dass Sina irgendwie nicht ihrem Alter
entsprechend gekleidet war.“
„Also anders als bei Merle.“
„Können wir die Grothe jetzt mal
außen vor lassen?“ Funke war sichtlich ungeduldig.
Siewers zuckte nur mit den Achseln.
„Ich meine ja nur. Sie hat sich anders gekleidet und sich scheinbar ganz
bewusst in die Rolle der Außenseiterin begeben.“ Sie deutete Funkes Blick richtig.
„Okay. Sina. Dann hat sie sich erst nach der Schule in die anderen Klamotten
geschmissen. Warum?“
„Weil sie keine lästigen Fragen
wollte“, schlug Behrend vor. „Der Stress zu Hause hat ihr wohl gereicht.“
„Na ja.“ Siewers schien nicht
überzeugt. „Die Freundin des Vaters, diese Wrede, hat das eher so geschildert,
als ob Sina eben gerade das Spaß gemacht hat. Ich glaube, dass sie es ganz gezielt
zu Hause gemacht hat, weil sie provozieren wollte.“
„Wo du gerade die Wrede erwähnst“,
sagte Behrend. „Frau Ludwig hat behauptet, es liefe ein Verfahren wegen
Misshandlung gegen sie. Sina soll sie bei der Polizei angezeigt haben.“
„Hm“, machte Frohloff. Wieso sollte
die Freundin der Mutter mehr wissen, als die Eltern?
„Es stimmt, Roman“, sagte Funke zu
seinem Erstaunen. „Almut Keller hat das bestätigt.“
„Kannst du mir dann mal sagen,
warum sie das nicht gleich gesagt hat? Ich meine, dass die Wrede es nicht
erwähnt hat, kann ich ja noch nachvollziehen. Und beim Vater verstehe ich es
auch noch zur Not. Schließlich geht es um seine Lebensgefährtin. Aber die
Mutter?“
„Interessant, nicht wahr?“ Funke
nickte. „Zumal Frau Keller Frau Wrede nun wirklich nicht leiden kann.“
Er verstand. „Also hat sie ihrer
eigenen Tochter nicht geglaubt?“
„Sieht fast so aus. Es gibt
schließlich auch keine Zeugen dafür, dass Frau Wrede tatsächlich handgreiflich
geworden ist.“
„Was ja nicht heißen muss, dass es
nicht doch passiert ist.“
„Nein. Aber vielleicht kannte Frau
Keller ihre Tochter doch ganz gut.“
„Und die Schwester? Wie heißt sie,
Judith? Hat die nichts mitbekommen?“
„Nein“, sagte Behrend.
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