Die Mädchenwiese
Schluchzen, warf sich aufs Bett und verbarg sein Gesicht in der Armbeuge. Möchtest du Reibekuchen? Nein, er mochte keinen Reibekuchen. Noch viel weniger mochte er die ständige Streiterei seiner Eltern. Am meisten hasste er es, wenn sie sich wegen ihm in die Haare bekamen. So wie gerade eben, als sie sich mal wieder gegenseitig angeschrien hatten, weil er nicht zur Schule gefahren war, den Bus verpasst hatte … Inzwischen war Sam davon überzeugt, dass es seine Schuld war, dass sich seine Eltern getrennt hatten.
Dies führte dazu, dass er kaum noch einen Ton sagte, wenn seine Eltern mit ihm redeten. Er brachte nicht einmal mehr den Mut auf, seiner Mutter zu erklären, dass er keine Reibekuchen mochte, sondern Pfannkuchen.
Er hörte sie die Stufen hinaufsteigen. Jetzt kommt sie, um sich wieder zu entschuldigen. So wie jedes Mal, nachdem sie sich mit seinem Vater gestritten hatte. Alles wird gut , würde sie sagen. Aber irgendwie wurde es das nie!
Schnell ließ er sich von seiner Matratze gleiten und nahm seine Spielfiguren zur Hand. Er wollte nicht, dass seine Mutter ihn schluchzend wie ein Baby auf dem Bett vorfand.
Doch niemand kam zur Tür herein. Stattdessen vernahm er die Stimmen seiner Eltern aus dem Nachbarzimmer. Lisas Zimmer.
Hast du eine Ahnung, wo deine Schwester ist?
Lisa würde sauer auf ihn sein, denn Sam hatte sein Versprechen gebrochen. Wütend holte er mit der Hand aus und schmiss die Spielfiguren durch das Zimmer. Er wünschte sich, er hätte einfach nur den Mund gehalten.
Deine Eltern machen sich große Sorgen.
Sam hatte seinen Eltern lediglich zu verstehen geben wollen, dass es keinen Grund zur Sorge gab, und noch viel weniger für einen Streit. Lisa kommt wieder zurück, das hat sie versprochen! Allerdings hätte er seiner Schwester jetzt ebenso gerne erklärt, dass sie gut daran täte, endlich nach Hause zu kommen, bevor ihrer Mutter endgültig der Geduldsfaden riss. Denn dann würde sie erst recht unerträglich werden. Wenn er nur wüsste, wo genau Lisa das Wochenende verbracht hatte.
Er rief sich das Gespräch vom Freitagabend in Erinnerung, aber er konnte sich nur an das spöttische Lachen seiner Schwester erinnern. An seine Wut, die er verspürt hatte, weil sie ihn geärgert hatte. Und noch etwas anderes war gewesen. Doch er konnte sich nicht entsinnen.
Kurzerhand ging er auf Zehenspitzen in den Flur. Seine Eltern waren mit Onkel Frank noch in Lisas Zimmer. Sam schlich die Treppe hinunter, ohne dass sie ihn bemerkten, schlüpfte in seine Schuhe und trat hinaus auf die Straße.
Laura sah dabei zu, wie ihr Schwager den Stapel Flyer und die Marlboro-Schachtel auf Lisas Schreibtisch beiseiteräumte, bis er auf die PC -Tastatur stieß.
»Hat Lisa ein Passwort für ihren Rechner?«, fragte er.
»Warum?«
»Weil sie sich ganz sicher E-Mails mit ihrem Freund geschrieben hat. Oder sich in einem Chatroom fürs Wochenende verabredet hat.«
Laura bekam ein mulmiges Gefühl. Lisas Zimmer zu durchsuchen war eine Sache, ihren Rechner zu durchstöbern etwas ganz anderes. Dann allerdings fiel ihr Blick auf die Stiefel in der großen Schachtel vor dem Bett, und sie musste an den älteren Mann denken, der ihrer sechzehnjährigen Tochter kostspielige Geschenke machte. Mit einem Mal wurde ihr schlecht.
Sie schwieg, während Frank den Rechner startete.
»Problematisch wird es nur, wenn sie ein Passwort hat«, sagte er.
Laura kämpfte noch immer gegen die Übelkeit an. »Ich hab’ keine Ahnung.«
»Die meisten Jugendlichen nehmen ihre Lieblingsband. Oder einen Sänger.«
Laura holte wahllos zwei CD s unter dem Bett hervor. Eine war von Rihanna, die andere von Faithless. »Ich weiß es nicht.«
Auf dem Computermonitor wurde der Desktop sichtbar. Ein Passwortschutz war nicht eingerichtet. Bildschirmhintergrund war ein Foto von Lisa und Carmen. Sie drehte sich zu ihrem Mann um, der wie sie den PC -Monitor anstarrte. »Wenn du dich nützlich machen möchtest, ruf Carmen an. Und Lisas andere Freundinnen. Vielleicht wissen die etwas über ihren Freund.«
»Ja, das mach’ ich.«
»Die Telefonnummern hängen unten am Kühlschrank.«
»Das weiß ich doch«, erklärte Rolf, was Laura unvermittelt einen Stich versetzte, und fügte hinzu: »Ich werde mich außerdem mal im Ort umhören. Vielleicht war Lisa mit ihrem Freund drüben im Jugendclub. Da geht sie doch gerne hin, oder?«
»Gute Idee«, sagte Frank, der Lisas E-Mail-Programm öffnete. Er ging in die Hocke, während sich Laura auf den
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