Die Mädchenwiese
ganzen Leib.
»Aber die Hauptsache ist, dass es deiner Mutter wieder bessergeht, oder? Ich kümmere mich um sie. Versprochen.«
Seine dürren Finger glitten unter mein Nachthemd. Ich versteifte mich.
»Nein!«, wisperte ich und kämpfte gegen die lähmende Starre an.
Mit einer Hand hielt er meine Handgelenke fest. »Bleib.«
»Ich will das nicht.«
Seine Umklammerung wurde stärker. Ich war wie gefesselt. Seine Finger krochen über meinen Bauch hoch zu meinen Brüsten. Ich dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als Harald sie berührt hatte. Es war ein angenehmes Gefühl gewesen. Die Finger meines Onkels waren rau und kalt, und sie kniffen in meine Brustwarze.
Mir stiegen Tränen in die Augen. »Ich habe so etwas noch nie gemacht.«
Seine Hand ließ von meinen Brüsten ab, strich mir stattdessen übers Gesicht. »Es wird nicht weh tun.«
Doch das war eine Lüge. Auch wenn er nicht mit mir schlief, denn die Schande eines inzestuösen Balgs wollte er sich nicht machen. Er fand andere Mittel und Wege. Sie schmerzten. Sie waren abscheulich.
Als er seine Lust befriedigt hatte, stahl er sich aus meinem Zimmer und ließ mich in der Dunkelheit zurück. Zitternd zog ich das besudelte Bettlaken ab und stopfte es in den Müll. Den Rest der Nacht tat ich kein Auge mehr zu.
Am darauffolgenden Morgen traf ich in der Küche auf meine Mutter, als sie das Frühstück für uns zubereitete. Alles in mir drängte danach, das Unaussprechliche herauszuschreien. Doch als meine Mutter sich umdrehte, lächelte sie mich an. Ein warmherziges Lächeln, auf das ich so lange gehofft hatte.
Ich schwieg.
Meine Tante gesellte sich zu uns an den Frühstückstisch, kurz darauf mein Onkel. Er grüßte und zwinkerte wie immer. Als wäre nichts passiert. Ich starrte auf meinen Teller.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte meine Mutter besorgt.
Mein Onkel kam mir mit einer Antwort zuvor. »Ach, bestimmt ist es nur ein Infekt. So einer macht schnell die Runde im Dorf.«
»Hast du Fieber?«, fragte meine Mutter und befühlte meine Stirn.
»Es ist nichts«, flüsterte ich und mied ihren Blick.
»Da hörst du’s, Ingrid«, sagte mein Onkel, »es ist alles in Ordnung mit deiner Tochter.«
Als ich mich auf den Weg zur Schule machte, strich er mir durch die Haare, wie früher mein Vater. Mir wurde schlecht. Unterwegs stieg ich zweimal vom Rad und übergab mich.
An jenem Tag sagte ich meiner Mutter nicht die Wahrheit über ihren Bruder. Und auch nicht in den darauffolgenden Monaten, in denen er sich nachts in mein Zimmer schlich.
Ich bewahrte Stillschweigen über die Dinge, die er mit mir tat. Ich lernte sein Stöhnen zu verdrängen, indem ich an meine Kindheit dachte, an die glücklichen Abende mit meinem Vater und das gleichmäßige Klackern der Dominosteine. Wenn ich danach das Bettlaken reinigte, empfand ich Scham.
Es fiel mir immer schwerer, meinen Mitmenschen ins Gesicht zu blicken. Schließlich sprach ich mit fast niemandem mehr.
Kapitel 12
Vielleicht sollte ich es tun. Einfach nur abhauen. Ganz weit weg . Laura wandte den Blick von der letzten Skype-Nachricht ihrer Tochter ab. Sie wusste nicht, wohin sie sehen sollte. Das Chaos in Lisas Zimmer verstärkte nur ihren inneren Aufruhr.
Am liebsten hätte sie auf den PC -Monitor eingeschlagen. Nicht weil sie zornig auf ihre Tochter war, sondern weil sie ihr eigenes Verhalten verabscheute. Mama ist wieder sauer! Aber was heißt hier wieder?
Laura zog die Marlboro-Packung unter dem Flyer-Stapel hervor, floh in ihr Schlafzimmer und durchwühlte die Schublade ihres Nachttischchens. »Ach, Scheiße!«
Frank stand schweigend im Türrahmen.
»Ich find die beschissenen Streichhölzer nicht! Die müssen doch irgendwo … Da sind sie!« Sie brauchte zwei Anläufe, bis sie sich eine Zigarette angezündet hatte.
»Wolltest du nicht aufhören?«, fragte Frank.
»Ich wollte so vieles«, sagte sie und stieß den Rauch aus.
Dann trat sie in den Flur und blieb vor Sams Tür stehen. Gerne wäre sie zu ihm gegangen, war sich aber nicht sicher, ob sie die nötige Geduld für ihn aufbrächte. Deswegen lief sie hinunter ins Wohnzimmer. Lisas Lachen auf dem Foto an der Wand kam ihr keineswegs mehr so unbeschwert vor wie nur wenige Stunden zuvor.
Die Sonne war bereits untergegangen. Laura war erstaunt, wie spät es war. Frank eilte die Treppe hinunter und hielt ihr ihr klingelndes Handy hin.
»Habt ihr was gefunden?«, erkundigte sich Rolf.
Laura berichtete ihm von Lisas letzter
Weitere Kostenlose Bücher