Die Mädchenwiese
von ihnen schaute zur Theke, Ruprecht Schulze.
Alex wich seinem Blick aus, griff zum Spüllappen und wischte den Tresen. Aus den Lautsprechern erklangen die ersten Takte von In A Plain . Gizmo trottete herbei und trank aus seinem Wassernapf.
»… und dann ist sie gegangen«, sagte Krause.
»Das überrascht mich nicht«, erwiderte Hartmann.
»Else meinte schon immer, das wird kein gutes Ende nehmen.«
»Traurig, ja, aber was willste machen?«
»Nichts kannste machen.«
»Sie sollte tatsächlich den Arzt wechseln«, schlug Alex vor.
Die beiden Rentner sahen ihn aus trüben Augen an.
»Wer redet denn von Else?«, fragte Krause.
Hartmann leerte seinen Schnaps in einem Zug. »Hast du das etwa nicht mitgekriegt?«
»Das musste ja mal passieren«, murmelte Krause.
»Man hat so einiges gehört.«
»Alkohol. Und Drogen. So was!«
»Na ja, und jetzt ist sie weg …«
»Wer ist weg?«, fragte Alex. »Von wem redet ihr?«
»Na, von der kleinen Theis!«
»Fortgelaufen soll sie sein.«
»Die Theis mal wieder. Die mit ihrem komischen Sohn. Und …«
Alex ließ die beiden alten Männer reden. Er dachte an seine Begegnung mit Laura Theis im Supermarkt. Wahrscheinlich war sie deswegen so aufgeregt gewesen – weil ihre Tochter davongelaufen war.
Alex wischte wieder mit dem Lappen über die Anrichte und wrang ihn über dem Spülbecken aus. Als er aufschaute, stand Ruprecht Schulze vorm Tresen.
Laura inhalierte den Zigarettenrauch. Mit zitternder Stimme sagte sie: »Ich glaube, Lisa ist etwas passiert.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte ihr Schwager.
»Sie hat geschrieben: Ich möchte einfach nur abhauen. Ganz weit weg. Vielleicht sollte ich es tun … Das hat sie erst am vergangenen Mittwoch geschrieben. Aber sie hat nicht geschrieben: Ich haue jetzt ab. Verstehst du?«
»So schreiben Teenager manchmal.«
»Nicht Lisa. Sie wäre nicht einfach abgehauen. In ihrer Skype-Nachricht stand schließlich auch: Einen Zettel schreiben. Ich bin dann mal weg. Mama würde sich wundern! «
»Ja, aber wenn Teenager tatsächlich abhauen, dann geschieht das in den meisten Fällen aus einem Impuls heraus. Die wenigsten denken dann noch an so etwas wie einen Abschiedsbrief oder dergleichen. Sie wollen ihre Eltern schockieren, verletzen, es ihnen … heimzahlen.«
»Nein, Lisa nicht. Das passt nicht zu ihr.«
»Wenn du wüsstest, wie oft Eltern sagen: Das passt nicht zu meiner Tochter, meinem Sohn! Leider ist genau das der Fall. Immer! Es gibt Gründe, warum sie von zu Hause abhauen. Häufig sind sie den Eltern gar nicht bewusst.«
Laura setzte zu einer Antwort an, doch sie schwieg. Anscheinend weißt du ja so einiges nicht über deine Tochter , schoss es ihr durch den Kopf.
»Lisa hatte genug Gründe«, fuhr Frank fort. »Du hast es gerade gelesen. Und wenn sie dann noch einen neuen Freund hat, einen älteren Mann, na ja …« Er fuhr sich mit dem Finger über eine Augenbraue. »Ich bin mir sicher, sie meldet sich schon bald. Oder kehrt zurück. Das ist fast immer so.«
»Fast?«
Ihr Schwager schwieg.
»Nein«, sagte Laura, »das alles kann nicht sein. Überleg doch mal: ein älterer Mann …«
»Laura, deine Tochter ist sechzehn. Sie kann selbst bestimmen, mit wem sie verkehrt.«
»Mag ja sein, aber die teuren Geschenke beunruhigen mich. Frank, ich bitte dich, das ist doch nicht normal, nicht für ein Mädchen in ihrem Alter. Das macht so ein Typ doch nicht ohne Grund. Dafür will er … will er etwas haben. Verflixt, sie ist erst sechzehn! Ich will, dass du nach ihr suchst.«
Es dauerte einige Sekunden, bis Frank antwortete. »Wir könnten maximal eine Vermisstenmeldung aufnehmen, selbst das wäre in einem Fall wie diesem ungewöhnlich. Aber dann wäre Lisa immerhin zur internen Fahndung ausgeschrieben. Das bedeutet, die Kollegen in Stadtbereich und Umgebung wären darüber informiert, dass ein Mädchen verschwunden, eventuell mit einem älteren Freund abgehauen ist.«
»Das reicht nicht! Gebt eine richtige Suchmeldung raus. Im Fernsehen. Und im Radio.«
»Laura, das ist in der Regel erst vierundzwanzig Stunden nach …«
»Lisa ist seit Freitag nicht mehr da!«
»Hast du eine Ahnung, was du damit lostrittst?«, fragte Frank.
»Ich will nur, dass Lisa zurückkommt.«
»Keine Chance, dich davon abzubringen?«
»Wenn du es nicht tust, ruf’ ich bei den Sendern an.«
Frank reagierte nicht. Laura sah ihn flehend an.
»Na gut«, willigte er ein. »Ich könnte mit meinem Dienststellenleiter über eine
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