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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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still«, erwiderte Silke.
    »Aber ich muss …«
    »Du musst den Mund halten! So ist es jedes Mal. Erst spielt er Musik. Danach kommt er.«
    »Er? Wer ist er? Kennst du ihn? Hast du …«
    »Scheiße, sei still, kapierst du das denn nicht?«
    Ein Schlüsselrasseln hallte durch das Gewölbe. Lisas Blick irrte durch die Zelle, aber da war nichts, wo sie sich hätte verstecken können. Sie stolperte zu der fleckigen Matratze in der Ecke, die aussah wie eine Einladung für Pickel und Herpes. Als wenn das jetzt dein Problem wäre!
    »Lisa?« Silkes Krächzen war kaum zu verstehen.
    »Ja?« Lisa hörte, wie in einiger Entfernung ein Schloss entriegelt wurde. »Was ist?«
    »Was ist mit deinem Sack?«
    Lisas Blick streifte den Jutebeutel, der am Boden lag. »Was soll damit sein?«
    »Hast du ihn abgenommen?«
    »Ja.« Schritte polterten eine Treppe herab.
    »Zieh ihn über!«
    »Warum?«
    »Zieh ihn über!« Silkes Stimme überschlug sich. »Schnell! Mach schon! Zieh dir den Sack wieder über!«
    Die Schritte waren jetzt ganz nah.
    Kapitel 19
    »Was hast du dir bloß dabei gedacht?« Mein Onkel war wütend. »Hast du nicht an deine Mutter gedacht?«
    Ich nickte. Natürlich hatte ich an meine Mutter gedacht. Ich dachte ständig an sie. Vielleicht hatte ich mich gerade deshalb zu der Entscheidung hinreißen lassen. Inzwischen bereute ich es.
    »Wer wird deiner Mutter helfen, wenn es ihr wieder schlechter geht?«
    Ich nickte noch einmal. Er hatte recht. Wie hatte ich bloß an mein eigenes Vergnügen denken können, während Mutter dahinsiechte?
    »Du erwartest also, dass ich ihr helfe? Als täte ich nicht schon genug für deine Familie!« Mein Onkel schnaubte. »Und trotzdem hast du nichts Besseres zu tun, als dich im Theater zu vergnügen und …«
    »Rudolf!« Tante Hilde meldete sich zu Wort. »Glaubst du nicht, sie hätte einen Abend …«
    »Du!«, blaffte mein Onkel. »Du hältst dich bitte schön da raus!«
    Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
    »Undankbar«, knurrte er und wandte sich wieder mir zu, »ja, das bist du. Undankbar. Dein Vater würde sich schämen, wenn er …«
    Das Husten meiner Mutter, das zu einem verzweifelten Röcheln wurde, brachte ihn zum Verstummen. Wir liefen hinauf in ihr Zimmer.
    »Mama«, rief ich, »geht es dir gut?«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob sie ihre Hand.
    »Na, siehst du«, zischte mein Onkel.
    Der knochige Arm meiner Mutter fiel auf seine Hand.
    »Lass … lass sie«, brachte meine Mutter keuchend hervor.
    »Wie bitte?« Mein Onkel trat einen Schritt zurück.
    »Lass sie gehen.« Meine Mutter zitterte am ganzen Leib. Mir tat es im Herzen weh, sie so leiden zu sehen.
    »Sie war … ist … immer da.« Sie bäumte sich auf. Ihre Augen weiteten sich. Mir blieb fast die Luft weg.
    »Und jetzt …« Sie sackte kraftlos zusammen. Ich ertrug diesen Anblick nicht mehr und sah aus dem Fenster. »… ist sie alt genug.«
    Mein Onkel spiegelte sich im Fensterglas. Er runzelte die Stirn.
    »Berta!« Mutter drehte ihren Kopf zu mir. Ich erwiderte ihren Blick. Sie lächelte. »Geh!«
    Erschöpft schloss meine Mutter die Augen. Mein Onkel sah mich wütend an. Nein , dachte ich, ich kann nicht gehen . Aber Mutter hatte es gewollt. Es hatte sie ihre letzte Kraft gekostet.
    Mit einem mulmigen Gefühl machte ich mich für meine Verabredung zurecht. Da ich keine angemessene Kleidung für einen Theaterbesuch hatte, lieh Tante Hilde mir eines ihrer Festtagskleider. Sie hatte es selbst geschneidert, der Schnitt war nicht förmlich, aber auch nicht zu gewagt. Als ich in dem samtgrünen Stoff vor den Spiegel trat, sagte meine Tante, ich sehe wie eine vornehme Dame aus. Ich bemerkte im Spiegel nur das grimmige Gesicht meines Onkels.
    Im selben Moment klopfte es an der Haustür. Mit Beinen wie aus Pudding wankte ich zu meiner Mutter, um mich von ihr zu verabschieden. Mein Onkel stellte sich mir im Flur in den Weg und trieb mich in die Abstellkammer.
    »Du«, stieß er hervor, »du elendiges Flittchen.«
    Verängstigt zog ich den Kopf zwischen die Schultern.
    »Heute lasse ich dich gehen, aber glaub ja nicht, dass ich nicht weiß, was du vorhast.« Speicheltropfen trafen mich im Gesicht. »Treiben wie eine Hure willst du es.« Er packte mich am Arm. »Aber wehe, du verlierst ein Wort über mich und dich und …«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gut«, knurrte er.
    Benommen ging ich zurück in den Flur und betrat das Zimmer meiner Mutter. Ich sah auf sie herab. Nein, dachte ich, ich gehe

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