Die Maenner vom Meer - Roman
Im fischreichen Fluß zu angeln war mit Lebensgefahr verbunden, denn unter Thorgeirs Männern gab es treffsichere Bogenschützen. In Svens Lager hingegen herrschte an allem Überfluß, und seine Männer vertrieben sich die Zeit damit, ihn in ausgedehnten Freßgelagen zur Schau zu stellen.
Eines Tages wurden von den Wikingern zwei Schiffe mit einer Hundertschaft ausgedienter normannischer Recken aufgebracht. Skarthi führte die Gefangenen zu Sven, und dieser konnte sie ohne Mühe überzeugen, daß es vorteilhafter sei, in seinen Dienst zu treten. Einen von ihnen, der sich als ein Verwandter des englischen Königs zu erkennen gab, schickte er anderntags zu Aethelred und ließ ihn um eine Unterredung bitten.
Der Normanne kehrte mit dem Bescheid zurück, der König werde um die Mittagsstunde zum nördlichen Tor kommen und sich dort anhören, was Sven Gabelbart ihm zu sagen habe. Doch müsse das Tor geschlossen bleiben.
»Was meinst du, Freund«, wandte sich Sven an Skarthi, »soll ich über die Kränkung hinwegsehen, die in dieser Bedingung liegt?«
»Sie besagt nichts weiter, als daß er Angst vor dir hat«, antwortete dieser. »Geh also hin und sprich mit ihm. Aber halte dich von der Mauer fern, denn vor Pfeilen können wir dich schützen, vor Steinen und siedendem Wasser dagegen nicht.«
So kam es, daß Sven zur angegebenen Stunde unter einem Dach von Schilden unweit des nördlichen Tores stand. Auf den Mauern drängten sich die Einwohner von Lundenwic, und als plötzlich Stille eintrat, hörte man König Aethelreds Stimme: »Hier bin ich, Sven Haraldsson. Was willst du?«
»Wie geht es dir, Vetter?« rief Sven. »Bist du bei guter Gesundheit, hast du genug zu essen, behandeln dich die Händler mit der gebührenden Achtung?«
»Du hast mich um ein Gespräch ersucht. Ich höre.«
»Ich bin gekommen, dir meine Hilfe anzubieten, Aethelred. Denn wenn es wahr ist, was mir berichtet wurde, befindest du dich in einer schlimmen Lage. Es heißt sogar, die Händler hielten dich gefangen. Ist dem so, Vetter?«
Das sei eine hundsgemeine Lüge, riefen die Leute auf den Mauern, der König habe keinerlei Einschränkungen zu erdulden, und wer das Gegenteil behaupte, verdiene es, daß man ihm die Zunge herausreiße.
»Paßt auf, daß euch nicht dasselbe geschieht!« rief Sven zu den Leuten hinauf. »Denn wer außer euch könnte den König daran hindern, mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten?«
Er selbst habe den Wunsch geäußert, durch das geschlossene Tor mit Sven Gabelbart zu sprechen, antworteten sie.
»Das ist nicht die Art, wie Vettern königlichen Geblüts miteinander Umgang pflegen«, erwiderte Sven. »Deshalb glaube ich euch nicht und werde euch dafür bestrafen, daß ihr den König seiner Freiheit beraubt.«
Nun vernahm man, wie das Tor entriegelt wurde; seine Flügel öffneten sich einen Spaltbreit, und dort stand, die Hände zu einerabwehrenden Gebärde ausgestreckt, König Aethelred. Er war sichtlich gealtert, seit Björn ihn das letzte Mal gesehen hatte, sein Kopf war fast kahl und sein Gesicht gezeichnet von Entbehrungen und Schlaflosigkeit.
»Komm etwas näher, lieber Vetter«, sagte Sven, »damit ich sehen kann, ob du es wirklich bist.«
»Ich werde mich hüten«, antwortete Aethelred. »Lieber würde ich dem Teufel die Hand reichen, als dir auch nur einen einzigen Schritt entgegengehen.«
»Sag ihm, daß du ein freier Mann bist und wir dir mit Achtung begegnen!« riefen die Bürger von Lundenwic.
»So ist es«, bestätigte Aethelred und unterdrückte mit großer Mühe ein Gähnen.
»Lieber Vetter«, sagte Sven, »dein Wort gilt mir so viel, daß ich nicht frage, weshalb du, wenn du ein freier Mann bist, keine Waffen trägst. Doch dein Aussehen bestärkt mich in der Sorge um dein Wohlbefinden. Bist du krank, oder ist es der Hunger, der aus einem gerade dem Jünglingsalter entwachsenen Mann einen Greis gemacht hat?«
»Ich hoffe, du übertreibst in der Absicht, mich zu ängstigen«, versetzte Aethelred betroffen. »Aber es ist wahr, daß ich mich nie zuvor so elend gefühlt habe. Seit ich in Lundenwic bin, habe ich keine Stunde mehr geschlafen; statt dessen befinde ich mich in einem Zustand immerwährender Müdigkeit. Du ahnst nicht, wie quälend Müdigkeit sein kann, wenn dich der Schlaf nicht erlöst.«
»Dem kann Abhilfe geschaffen werden, lieber Vetter«, entgegnete Sven. »Denn was dir den Schlaf raubt, ist die Sorge um dein Reich, und dieses Gespräch dient allein dem Zweck, sie zu
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