Die Maenner vom Meer - Roman
glücklosen König zum Kampf herausfordern würde. Bis dahin bot sich den Händlern manche Gelegenheit, ihren Gast zu schröpfen. Für einen Wucherpreis verkauften sie ihm ein windschiefes Gebäude, das noch vor kurzem ein Freudenhaus gewesen war, und als er sich dort mit seinem Hof notdürftig eingerichtet hatte, führten sie ihm eine Auswahl der neuesten Waffen vor, darunter auch die Knebellanze, die, versicherten sie ihm, jeden Eisenpanzer zu durchdringen vermöge. Der König gab eine größere Bestellung auf, sah sich jedoch als nächstes vor die Frage gestellt, wen er mit den Waffen ausrüsten sollte, da sich die Händler, und zu diesen zählten die meisten Einwohner von Lundenwic, für den Kriegsdienst als gänzlich ungeeignet erklärten. Doch auch hier wußten die Händler Rat: Sie erboten sich, für ein Handgeld im Gegenwert von zwanzig tragenden Kühen oder vierzig Sklavinnen jenseits des Meeres Truppen anzuwerben, vor allem bei den Normannen, zu denen Aethelred verwandtschaftliche Beziehungen unterhielt. Der König gab ihnen das Geld, und die Händler lobten ihn für seine Klugheit.
Unterdessen verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, von Nordenrücke Sven Gabelbart mit einem Heer heran, dem sich außer den Angelsachsen auch eine größere Schar jener blutrünstigen Seeräuber angeschlossen habe, die seit Jahrzehnten die Küstenstriche verheerten. Dies erfüllte die Bewohner von Lundenwic nun doch mit Besorgnis, denn während die Angelsachsen und Dänen als unnachgiebige, aber verläßliche Handelspartner galten, standen die Seeräuber in dem Ruf, zu jeder Ware, die man ihnen anbot, noch den Kaufpreis zu fordern. Die Händler hielten es daher für ratsam, die Stadt in Verteidigungsbereitschaft zu setzen und gleichzeitig Verhandlungen mit Sven Gabelbart aufzunehmen. Ihre Abordnung wurde freundlich empfangen, auch nahm Sven ihren Vorschlag an, ihn mit Waffen zu versorgen, doch war er weder durch gute Worte noch Geschenke zu bewegen, Thorgeirs wilde Horde von Lundenwic fernzuhalten. Statt dessen gab er sein Wort, dafür zu sorgen, daß kein Bürger Lundenwics Schaden an Leib und Eigentum erleiden werde, wenn man ihm die Tore freiwillig öffne. Im übrigen befinde sich der Anführer jener berüchtigten Wikinger in einer Lage, die ihm keine Eigenmächtigkeiten erlaube. Zum Beweis zeigte er ihnen Thorgeir Bryntroll, den man, obwohl er noch sehr geschwächt war, an Händen und Füßen gefesselt hatte.
Unterdessen waren die sechs Langschiffe der Wikinger den Fluß hinaufgesegelt und Lundenwic gegenüber vor Anker gegangen. Selten hatte man die Seeräuber so besonnen zu Werke gehen sehen, denn statt die Bürger, wie man es gewohnt war, mit schrecklichen Drohungen in Angst zu versetzen, legten sie Sperren aus miteinander vertäuten Fischerbooten und Lastkähnen über den Fluß, eine oberhalb der Stadt und eine weitere seewärts. So kam es, daß, als zwei Tage später Svens Heer herangerückt war und mit der Belagerung begann, Lundenwic nach allen Seiten hin eingeschlossen war.
Unter den Händlern brach ein Streit darüber aus, wie man sich nun verhalten solle. Einige hielten es für das klügste, Sven Gabelbart beim Wort zu nehmen und ihm Einlaß zu gewähren, andere wandten dagegen ein, daß man für die eingelagerten Vorräte um so höhere Preise erzielen könne, je länger die Belagerung andauere,und da letztere in der Überzahl waren, beschloß der Rat, Sven Gabelbart eine Weile die Stirn zu bieten. Der Gerechtigkeit halber fügen wir hinzu, daß dieser Beschluß nicht leichtfertig gefaßt wurde, denn wenige Städte waren zu jener Zeit so stark befestigt wie Lundenwic.
Gleichwohl waren die Händler bestrebt, mit Sven Gabelbart in Verbindung zu bleiben. Sie versorgten sein Heer mit Getreide, Fleisch und Bier, sie verkauften ihm Waffen, darunter jene, die Aethelred bereits bezahlt hatte, und versuchten vor allem herauszufinden, welche Vorteile ihnen ein König dänischen Geblüts über jene hinaus bringen würde, die ihnen der eigene, wohl oder übel, bereits gewährte. Hierauf gab ihnen Sven Gabelbart eine Antwort, die in ihren Ohren nicht eben verheißungsvoll klang: Nächst dem Ruhm sei es der Reichtum, der das Ansehen eines Königs ausmache, und daher werde er seine Gunst jenen schenken, die es auf diese oder jene Weise zu mehren verstünden.
Wochen vergingen, ohne daß etwas geschah. In Lundenwic stiegen die Preise für Nahrungsmittel von Tag zu Tag, und die Armen begannen, Hunde und Katzen zu essen.
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