Die Maenner vom Meer - Roman
es«, sagte sie zu Odinkar.
Björn griff nach ihrem Arm, aber sie schüttelte ihn ab und trat einen Schritt näher an den Goden heran. »Du weißt, wer ich bin?«
»Du bist die Hure Nanna«, antwortete Odinkar.
»Ich bin die Tochter des Kalifen von Cordoba!« herrschte sie ihn an. »Die Tochter des Kalifen will mit Skarthi zu den Toten gehen.«
»Damit bist du deinem Wort verpflichtet«, sagte Odinkar feierlich. »Jetzt kannst du es nicht mehr zurücknehmen.« Er gab zweiSklavinnen den Auftrag, sie zu bewachen und bei ihr zu sein, wohin sie auch ging. Nun sei Nanna durch die Straßen getanzt, erzählt Björn, habe mißtönende Weisen gesungen und sich für einen Becher Bier vor jedem Mann entblößt. Schließlich habe sie sich vor Trunkenheit nicht mehr auf den Beinen halten können; die Sklavinnen hätten sie in das Haus des Königs geschleppt, und dort sei sie neben der Leiche in tiefen Schlaf gesunken.
Unterdessen hatte man eine Bank auf das Schiff gestellt und darüber ein Zelt errichtet. Als der Tag anbrach, bekleideten die Sklavinnen Skarthis Leichnam mit Hosen, Schuhen, Wams und einem Mantel aus golddurchwirktem Stoff, stülpten ihm eine Mütze aus Marderfell auf und trugen ihn auf das Schiff: Dort setzten sie ihn auf die Bank und stützten ihn mit Kissen ab. Dann brachten sie Met, Früchte, Brot und Zwiebeln auf das Schiff, während die Knechte einen Hund, einen Hahn, zwei Pferde und zwei Ochsen in Stücke hieben und das blutige Fleisch rings um das Zelt legten. All dies geschah so, wie Odinkar es angeordnet hatte.
Schon am frühen Morgen hatte sich der Platz am Hafen mit Menschen gefüllt. Unter ihnen bemerkte Björn auch Wichmann, den König Harald geschickt hatte, damit er ihm über die Vorgänge berichte. Der König, erzählte er Björn, schäume vor Wut, weil Sven es nicht für nötig befunden habe, ihn zu der Feier einzuladen.
Gegen Mittag war das Gedränge so groß geworden, daß Odinkar sich mit Stockhieben einen Weg durch die Menge bahnen mußte. Er führte Nanna in den Ring, der durch die Zelte der Vornehmen gebildet wurde. Sie war einfacher gekleidet als am Tag zuvor und hatte ihr schwarzes Haar gelöst. Hinter ihnen ging eine alte Frau. Sie war groß und sehr dick, und ihr Gesicht war bis unter die Augen mit grauen Bartstoppeln bedeckt. Später erfuhr Björn, daß sie außerhalb der Stadt in einer Schilfhütte wohnte und man sie den ›Todesengel‹ nannte, weil sie ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Kinder zu töten, die den Eltern aus diesen oder jenen Gründen unerwünscht waren.
Als Nanna Björn erblickte, kam sie zu ihm und gab ihm die Nadel mit dem Rabenkopf.
»Nimm sie zurück, Björn Hasenscharte«, sagte sie. »Ich will nicht, daß die Flammen sie verzehren.«
»Warum tust du das, Nanna?« fragte Björn. »Was verbindet dich mit Skarthi, daß du mit ihm sterben willst?«
»Wir sind beide aus königlichem Geschlecht«, antwortete Nan-na. »Der Tod wird eine standesgemäße Ehe stiften.« Da trat Odinkar zu ihnen und ermahnte Nanna, sich an die Anweisungen zu halten, die er ihr gegeben hatte.
Nun ging Nanna von einem Zelt zum anderen und gab sich jedem der Vornehmen hin, und wenn dies geschehen war, tranken sie Met aus demselben Becher, und wie es der Brauch verlangte, sagte der Mann: »Melde Skarthi, daß ich dies aus Liebe zu dir tat.«
Als die Sonne tief im Westen stand, stellte sich Nanna in einen Holzrahmen, und mit diesem hoben sie die Männer dreimal hoch.
Beim ersten Mal sagte Nanna: »Sieh da, ich sehe meinen Vater, den Kalifen, und meine Mutter.«
Beim zweiten Mal sagte sie: »Sieh da, ich sehe alle meine toten Verwandten.«
Und beim dritten Mal sagte sie: »Sieh da, ich sehe Skarthi im Jenseits sitzen; es ist lieblich und grün, und bei ihm sind Männer und junge Dienerinnen. Er ruft nach mir. Laßt mich zu ihm gehen.«
Sie streifte ihre Armringe ab und gab sie der alten Frau, die sie töten sollte. Dann hob man sie auf das Schiff und reichte ihr einen Becher Met. Sie nahm ihn, sang und leerte ihn. Nun half man der Alten auf das Schiff, und diese packte Nanna und drängte sie zum Zelt. Plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht vor Angst, und sie begann zu schreien. Da nahm die Alte Nannas Kopf zwischen ihre riesigen Hände und zog sie in das Zelt. Nun gingen sechs Männer zu ihr. Einer von ihnen erzählte, Nanna sei allen sechs zu Willen gewesen. Danach habe man sie neben Skarthi gelegt. Zwei Männer hätten ihre Füße ergriffen, zwei ihre Hände, und das alte
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