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Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
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fand zu ihrer gewohnten Geschäftigkeit zurück, und die Angst vor den Wilden, wie sie allgemein genannt wurden, wäre vermutlich schon nach kurzer Zeit von den täglichen Sorgen verdrängt worden, wenn Bues Spitzeln nicht aufgefallen wäre, daß sich die Zahl der durch die Stadt streifenden Nomaden von Tag zu Tag um einige vermehrte.
    Bue der Dicke zog den Wikgrafen zur Rechenschaft, dieser schwor jedoch bei seiner Ehre, daß jeden Morgen nie mehr als zwanzig Nomaden in die Stadt eingelassen würden und ebenso viele diese gegen Abend wieder verließen. Aber nachdem Bue die in der Stadt befindlichen Nomaden hatte zählen lassen, stellte sich heraus, daß sich ihre Zahl an jenem Tag nahezu verdoppelt hatte.
    Bue verstärkte die Wachen ringsum auf dem Wall, ließ den Eingang des Hafens durch Tag und Nacht bemannte Schiffe sichern und unterzog sich persönlich der Mühe, die Nomaden beim Betreten und Verlassen der Stadt zu zählen. Doch auch dies konnte nichts daran ändern, daß sich die Nomaden tagsüber auf rätselhafte Weise vermehrten, während nach Sonnenuntergang mit den zwanzig, die durch das Tor hinausgelassen wurden, auch die überzähligen spurlos verschwanden.
    Einige Händler sahen jetzt den Zeitpunkt gekommen, die Stadtauf dem Wasserweg zu verlassen. Dies versetzte die Einwohner noch mehr in Unruhe als die unerklärliche Vermehrung der Wilden, denn die Kaufleute waren dafür bekannt, daß sie eine untrügliche Witterung für nahendes Unheil besaßen. Die gerade erst wieder erwachte Betriebsamkeit erlahmte jäh, die Einwohner zogen sich in ihre Häuser zurück und überließen die Straßen den immer zahlreicher werdenden Nomaden.
    Bue ließ Poppo zu einer Unterredung in das Haus des Königs bitten, aber Bischof Horath fing seinen Boten ab und trug diesem auf, dem Ratgeber des Königs mitzuteilen, daß ein gewöhnlicher Priester nur seines geistlichen Amtes zu walten habe und einen Rat in weltlichen Dingen zu erteilen allein ihm, dem Bischof, zukomme. Daraufhin wandte sich Bue an den heidnischen Priester Skallagrim, den man den Heulenden nannte, weil er in Vollmondnächten mit den Wölfen um die Wette zu heulen pflegte. Obwohl Skallagrims Anhängerschaft durch Poppos Bekehrungseifer zu einem kläglichen Häuflein zusammengeschmolzen war, sah Bischof Horath in ihm immer noch einen seiner ärgsten Widersacher, und nicht zuletzt dies mochte Bue bewogen haben, Skallagrim um Rat zu bitten.
    In der nächsten Vollmondnacht setzte sich Skallagrim, in das blutige Fell einer Kuh gehüllt, auf eine Wegkreuzung und sog den Rauch getrockneter Pilze ein, die seine Anhänger auf sieben kleinen Feuern verbrannten. Bei Tagesanbruch erwachte er aus totenähnlicher Starre und erzählte Bue, er habe von riesigen Ameisen mit menschenähnlichen Gesichtern geträumt, die nacheinander aus einem Loch hervorgekrochen seien.
    »Und wie deutest du deinen Traum?« fragte Bue.
    »Die Wilden müssen durch einen unterirdischen Gang in die Stadt gelangen«, antwortete Skallagrim. »Suche seinen Ausgang und verstopfe ihn mit brennendem Reisig.«
    Es war so, wie Skallagrim der Heulende gesagt hatte: Die Nomaden hatten von ihrem Lager aus einen Stollen unter dem Wall durch in die Stadt getrieben. Er mündete in ein verfallenes, seit Jahrennicht mehr benutztes Lagerhaus. Als aber Bues Leute den Ausgang gefunden hatten und sich daranmachten, ihn mit Stroh und trockenen Zweigen zu füllen, drang von der Straße her ein Trupp bewaffneter Nomaden in das Lagerhaus und tötete sie.
    Nun machte sich auch Gilli der Russe davon, nachdem er unter seinen Sklaven die kräftigsten und schönsten ausgewählt und an Bord getrieben hatte. Mit klatschendem Riemenschlag schoß sein Schiff aus dem Hafen, und erst jenseits der Landenge, die die Bucht bis auf eine schmale Durchfahrt von der Förde abtrennt, ließ er das Segel setzen. Wie wir noch erfahren werden, gelang es ihm nicht, das offene Meer zu erreichen, aber darin, daß Gilli, der unter den Händlern als der unerschrockenste galt, vor den Wilden floh, sahen viele ein schlechtes Zeichen.
    Am Abend jenes Tages befand sich die Stadt in der Hand der Nomaden. Hunderte von ihnen waren durch den unterirdischen Gang in die Stadt eingedrungen, hatten die Wachen entwaffnet und die Tore geöffnet, durch die sich nun ein Strom von Männern, Frauen und Kindern in die Straßen ergoß. Bis zum Dunkelwerden war die Stadt zu einem Teil des Nomadenlagers geworden. Auf den Straßen und Plätzen wurden Zelte errichtet, und

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