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Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
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überall flammten Feuer auf. Unheimlicher noch als das Geschehen selbst war die Lautlosigkeit, mit der es sich vollzog. Obwohl inzwischen Tausende der kleinen dunkelhäutigen Nomaden die Stadt bevölkerten, herrschte eine Stille, als ob alles Leben in ihr erstorben sei.
    Mehrere Tage wagte niemand, sein Haus zu verlassen. Wie Swain hatten auch die anderen Einwohner ihre Türen verrammelt, waren sie ängstlich darauf bedacht, jedes Geräusch zu vermeiden, durch das die Wilden verlockt werden konnten, in das Haus einzudringen. Allein der Rauch der Herdfeuer ließ erkennen, daß die Häuser noch bewohnt waren.
    Die Einwohner hofften, daß Bue der Dicke etwas unternehmen würde, um die Nomaden zum Abzug zu bewegen, und ihre Hoffnung gründete sich nicht zuletzt darauf, daß der Freund und Ratgeber des Königs selbst Opfer dieser lautlosen Belagerung war. DasHaus des Königs barg zwar weitaus größere Vorräte als die anderen Häuser, aber es war abzusehen, daß diese eher einen Tag früher als später zur Neige gehen würden, denn wenn Bues Gefolgsleute schon nicht im Maßhalten geübt waren, so pflegte ihr Herr gerade in Augenblicken der Gefahr von hemmungsloser Freßlust heimgesucht zu werden.
    Bue enttäuschte die Einwohner nicht: Am sechsten Tag, nachdem die Stadt von den Nomaden besetzt worden war, drang seine hohe Stimme durch die Stille. Im Namen des Königs befahl er Poppo zu erkunden, ob die Wilden zu Verhandlungen bereit seien. Nach einer Weile hörten die atemlos lauschenden Stadtbewohner, wie die Kirchentür geöffnet wurde und Poppo zu den Nomaden sprach. Jemand, der Stimme nach ein Kind, antwortete ihm.
    »Sie verstehen nicht, weshalb wir uns in den Häusern verkriechen«, sagte Poppo, »und sie meinen, es sei eine ihnen unbekannte Art der Gastfreundschaft, sich seinen Gästen nicht zu zeigen.«
    »Wo bist du?« rief Bue.
    »Mitten unter ihnen«, vernahm man Poppos ruhige Stimme.
    Bue schickte zwei seiner Gefolgsleute vor die Tür. Als diesen nichts geschah, trat er selbst auf die Straße hinaus, und nun öffneten sich hier und dort auch die Türen der umliegenden Häuser.
    Der Platz vor dem Haus des Königs war bis in den letzten Winkel mit den zierlichen braunen Körpern der Nomaden bedeckt. Einige schliefen, andere unterhielten sich in einer flinken Gebärdensprache, es wurde gekocht und gewaschen, Mütter säugten ihre Kinder, Männer schnitzten Pfeile oder schärften die Klingen ihrer Speere, Paare wälzten sich in enger Umarmung im Staub. Und inmitten dieses lautlosen Gewimmels stand, die Hände über dem Bauch gefaltet, Poppo.
    »Ich fange an, deinen Gott für mächtiger zu halten, als ich es bisher tat«, sagte Bue zu dem Priester. »Es kann sein, daß ich mich von dir taufen lassen werde, wenn er uns hilft, diese Wilden aus der Stadt zu vertreiben.«
    »Die Absichten des Allmächtigen sind dem menschlichen Verstandverschlossen«, antwortete Poppo, während ihm eine junge Frau unter die Kutte griff. »Möglicherweise hat er uns die Nomaden zur Prüfung geschickt, vielleicht auch, um jene zu strafen, die noch immer nicht zum wahren Glauben gefunden haben.«
    Die junge Nomadin hob nun Poppos Kutte hoch und entblößte vor aller Augen sein Geschlecht. Unter den Wilden schien es Staunen zu erregen, daß er ein Mann war.
    »Aber wozu bist du ein Priester, wenn du nicht weißt, wie du deinen Gott dazu bewegen kannst, uns vor dem Hungertod zu bewahren?« fragte Bue stirnrunzelnd.
    »Ich bin Gottes Diener, nicht sein Ratgeber«, antwortete Poppo, indem er sein Glied behutsam aus den Fingern der jungen Frau löste und den Beweis seiner Männlichkeit wieder unter der Kutte verbarg. »Ich kann ihn nur um seinen Beistand anflehen, aber es ist ungewiß, ob er ihn gewährt.« Und nun begann Poppo zu beten. Die Christen unter den Stadtbewohnern falteten die Hände und bewegten murmelnd ihre Lippen, und die Nomaden blickten stumm und mit ausdruckslosen Gesichtern zu Poppo empor.
    Es war ein langes Gebet, das Poppo sprach. Einige meinten später, es sei zu lang gewesen für einen vielbeschäftigten Gott, und dies sei der Grund, weshalb er Poppo nicht erhört habe. Doch statt seiner griff ein anderer Gott in das Geschehen ein, wenn auch auf eine Weise, an der nicht abzulesen war, ob er auf seiten der Einwohner oder der Nomaden stand. Es war der alte Thor, der donnernd in die Stille brach und aus mächtigen schwarzen Wolken Blitze herabschleuderte. Zwei oder drei Häuser begannen sogleich zu brennen, und nur der

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