Die Maenner vom Meer - Roman
außer sich: Er riß sein Schwert ausder Scheide und holte zum Schlag aus. Aber mitten in der Bewegung stockte er, wandte sich an einen seiner Gefolgsleute, von dem er wußte, daß er ihm blindlings gehorchte, und befahl diesem, der Alten den Kopf abzuschlagen. So geschah es, und Bue ließ Kopf und Rumpf der alten Frau vor die Tür werfen.
Wer nun aber befürchtet hatte, die Mordtat würde die Nomaden in wilde Erregung versetzen, sah sich eines besseren belehrt. Einige Frauen gingen zum Haus des Königs, hoben die Leiche auf und tauchten mit ihr in der Menge unter. Weiter geschah nichts.
Nun wußte sich auch der Ratgeber des Königs keinen Rat mehr; er bettete seinen Kopf in Nannas Schoß und befahl, ihn mit weiteren Schreckensmeldungen zu verschonen.
In der Stadt wuchs von Tag zu Tag die Zahl der Toten. Aber nicht der Hunger raffte die Einwohner dahin, sondern der Durst. Die Wasservorräte waren zur Neige gegangen, und niemand wagte, sein Haus zu verlassen. Auch Swain und Björn waren stillschweigend übereingekommen, lieber zu verdursten, als in den Kochtöpfen der Nomaden zu enden. Aber eines Tages ließ Swain das Schnitzmesser fallen und taumelte wie trunken auf seine Schlafkammer zu. Doch bevor er sie erreichte, verlor er das Bewußtsein und stürzte zu Boden. Da wußte Björn, daß Swain sterben würde, wenn er nicht bald etwas zu trinken bekam, und er beschloß, im Schutz der Dunkelheit Wasser aus einem nahe gelegenen Brunnen zu holen.
Gegen Abend bezog sich der Himmel mit tiefhängenden Wolken, so daß es früher als sonst in dieser Jahreszeit dunkel wurde. Da die Nomaden unmittelbar vor Swains Tür ein Zelt errichtet hatten, kroch Björn durch ein Loch in der rückwärtigen Hauswand ins Freie hinaus. Es war windstill, in den Straßen hingen die Rauchschwaden der Lagerfeuer. Weit entfernt krächzte ein Rabe. Björn erinnerte sich eines Spruches, den Gris der Weise ihn gelehrt hatte, es war ein Spruch, der die Unterirdischen in Augenblicken der Gefahr um Hilfe anrief, und diesen leise vor sich hin murmelnd, schlich er hinter der Häuserzeile entlang zum Brunnen.
Er taucht den Krug in das Wasser, schwarz und gurgelnd strömt es hinein. In das dumpfe Gurgeln mischt sich ein schriller Laut, löst sich von ihm, verstummt. Björn hält den Atem an. Da ist der Laut wieder, und jetzt weiß er, daß es ein Schrei ist, ein erstickter Schrei. Er blickt auf und sieht, nur wenige Schritte entfernt, ein Mädchen am Boden liegen. Über ihm zwei Nomaden, der eine hält ihr den Mund zu, der andere drängt sich zwischen ihre gespreizten Beine. Björn kennt das Mädchen, es ist Thordis, Steinns Tochter. Er möchte davonlaufen, aber etwas anderes ist stärker, es zwingt ihn, dem einen der Nomaden den Krug auf den Kopf zu schlagen, worauf dieser lautlos zusammenbricht. Der andere blickt Björn an, in seinen Augen flackert der Widerschein eines Feuers, Björn kommt es vor, als bohrten sich die Augen des Nomaden in seine, er glaubt zu fühlen, wie dieser Blick ihn zu lähmen beginnt, doch dann holt er noch einmal aus und trifft den Nomaden mitten auf die Stirn. Der Wilde sitzt eine Weile unbeweglich da, dann werden seine Augen plötzlich stumpf, und sein Oberkörper kippt langsam nach vorn. Björn spürt, wie sich Lippen auf seinen Mund pressen, warmer Atem streicht über sein Gesicht, er hört zwei, drei geflüsterte Worte, dann ist er allein mit den Toten.
Eine Zeitlang verharrte Björn in völliger Reglosigkeit. Er versuchte zu begreifen, was geschehen war, gelangte jedoch nicht über die Erkenntnis hinaus, daß er zwei Männer mit einem Gegenstand erschlagen hatte, der zerbrechlicher war als ein menschlicher Schädel. Der Krug indessen war unbeschädigt. Er füllte ihn wieder und lief zum Haus des Kammmachers zurück. Aber Swain lebte nicht mehr, als er ihm zu trinken geben wollte.
In der Nacht ging ein Wolkenbruch über die Stadt nieder. Die Bewohner schlugen Löcher in die Dächer ihrer Häuser und füllten alle verfügbaren Gefäße mit dem lange entbehrten Himmelsgeschenk. Dem Wolkenbruch folgte ein mehrere Tage andauernder Regen. Der Bach verwandelte sich in einen schäumenden Strom; er riß die Zelte der Nomaden und, als er noch weiter anschwoll, auch einige Hütten mit sich fort.
Die Nomaden nahmen dies mit unerschütterlichem Gleichmut hin; sie saßen schweigend an ihren erloschenen Lagerfeuern, während die Fluten sie umspülten und der Regen auf ihre nackten Körper prasselte.
Poppo, der sich als einziger aus
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