Die Maenner vom Meer - Roman
die Männer zu einer Beratung zusammen. Nach seiner Schätzung, sagte er, reichten die Eßvorräte noch für drei bis vier Wochen; er halte es demnach für lebensnotwendig, sich beizeiten mit zusätzlicher Nahrung, vor allem mit frischem Fleisch zu versorgen. Von Karhu wisse er, daß es sie an eine unbewohnte Küste verschlagen habe; die nächstgelegenen Ansiedlungen befänden sich weit im Landesinnern und seien nur auf zeitraubenden Umwegen zu erreichen. Andererseits hege Karhu Zweifel, ob es möglich sei, die Mannschaft den Winter über durch Jagd und Fischfang zu ernähren. Schließlich wolle er nicht verschweigen, daß ihn der Gedanke, in diesem Loch gefangen zu sein, mit großer Sorge erfülle; selbst wenn das Schiff wieder instandgesetzt und das Eis getaut sei, halte er es für ausgeschlossen, durch den Spalt wieder auf das Meer hinauszugelangen.
»Wenn du auf unseren Rat gehört hättest, müßten wir jetzt nicht den Worten eines ratlosen Schiffsführers lauschen«, sagte Egbert. Darauf erwiderte Thormod nichts, aber Björn sah, wie die Adern an seinen Schläfen schwollen.
»Wieviel Zeit bleibt uns noch, bis der Winter kommt?« fragte Olaf Dorschbeißer.
Thormod zuckte die Achseln und blickte Karhu an. Dieser deutete stumm auf das Eis, das sich knirschend in den Spalt zwängte.
»Was rätst du, Hedin?« fragte Thormod den Steuermann.
»Tu das, was du selbst für richtig hältst«, antwortete Hedin. »Einen besseren Rat kannst du von einem Tölpel nicht erwarten.«
In der Nacht begann es zu schneien. Am Morgen war der Grund des Trichters mit einer knöchelhohen Schneeschicht bedeckt, undes schneite unaufhörlich weiter. Thormod befahl, Mast und Steven abzunehmen und das Schiff umzudrehen. In den folgenden Tagen verkleideten sie die offenen Seiten mit Planken und Brettern und dichteten die Fugen mit Tang und Moos ab. So entstand nach und nach eine Hütte, die sich nur noch durch ihre ungewöhnliche Form als ein kieloben liegendes Schiff zu erkennen gab. Das Schiffshaus bot den Männern Schutz vor den Unbilden des Winters und vermittelte ihnen ein Gefühl der Geborgenheit. Wenn sie abends in ihren Fellsäcken lagen und der Rauch des Feuers in dicken Schwaden über ihren Köpfen hing, wenn sie das Krachen des Eises hörten und das Heulen des Schneesturms am Trichterrand, gelang es ihnen zuweilen, sich einzureden, daß ihr Los, alles in allem, nicht das schlechteste sei.
Als der Sturm sich gelegt hatte, scheuchte Thormod die Männer aus den klammen Fellsäcken. Eine Gruppe, zu deren Führer er Karhu bestimmte, schickte er auf die Jagd; er selbst stieg, von Björn und einigen anderen gefolgt, aus dem Trichter, um die Küste zu erkunden. Die Zurückbleibenden hieß er, das reichlich vorhandene Treibholz auf einem trockenen Platz zusammenzutragen und dabei nach Holzteilen Ausschau zu halten, mit denen das Schiff ausgebessert werden konnte. Unter den letzteren war auch Egbert. Wie sich später erwies, nutzte er Thormods Abwesenheit, um die Männer gegen ihn aufzuwiegeln.
Auf dem von Eis und Wind glattgeschliffenen Fels hatte der Schnee keinen Halt gefunden; er hatte sich in den Mulden gesammelt und die Schluchten teilweise mit einer dünnen, brüchigen Kruste überzogen. Deshalb mieden sie die harschigen Schneeflächen und suchten sich ihren Weg auf dem bloßliegenden Felsboden. Von einer Anhöhe aus sahen sie das Meer. Es war bis zur Kimm mit übereinandergetürmten Eisschollen bedeckt und ging dort in einen schorfigen grauen Himmel über. Auf der Eisfläche waren hier und dort dunkle Punkte zu erkennen.
»Das sind Robben«, sagte der scharfäugige Torkel Hakenlachs, und Thormod ließ einen Schnaufer der Erleichterung hören.
Kurze Zeit später nahm ihnen dichtes Schneetreiben die Sicht. Sie tasteten sich Schritt für Schritt über den felsigen Grund und schlossen dicht auf, um einander nicht aus den Augen zu verlieren. Nach vorn gebeugt, die Gesichter von den peitschenden Schneeflocken abgewandt, stapften sie durch die weiße, heulende Leere. Einmal gelangten sie an den Rand einer Schlucht, deren schneebedeckte Ränder sie wie die Zähne eines Ungeheuers anbleckten; sie mußten, ihrem Verlauf folgend, bergan steigen, bis die Schlucht so schmal wurde, daß sie sie überqueren konnten. Ein andermal befanden sie sich unversehens vor einem Krater, aus dessen Tiefe ein dumpfes Grollen an ihr Ohr drang. Hier geschah es, daß Thormod plötzlich Björns Arm packte und mit schreckensbleichem Gesicht in den Abgrund
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