Die Maenner vom Meer - Roman
um die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich zu lenken. Später sollte er sich noch oft dafür verfluchen. Denn er ahnte nicht, daß es die Spitze eines Heeres war, die vom Weg abschwenkte und auf seinen Hof zukam. Thorulfs gute Laune wich leichter Beklommenheit, als die Reiter ihn umringten und einer von ihnen sein Gesicht entblößte.Er hatte den Mann noch nie gesehen, aber als dieser nun den Mund öffnete, wußte er, daß er Harald Blauzahn vor sich hatte.
Der König schien ermattet vom langen Ritt und nicht zum Reden aufgelegt zu sein. Deshalb schloß er den Mund wieder, als er sah, daß Thorulf ihn erkannt hatte, und winkte den Bauern herbei, damit dieser ihm vom Pferd helfe. Währenddessen gelangte ein weiterer Reitertrupp auf Thorulfs Hof, und diesem folgte in einigem Abstand und weit auseinandergezogenen Marschkolonnen des Königs Heer. Bevor noch Thorulfs Trunkenheit verflogen war, lag sein Hof inmitten eines lärmenden Heerlagers, war sein Vieh aus den Ställen auf die verschneite Lichtung hinausgetrieben worden, um Haralds Gefolgsleuten Platz zu machen, saß der König auf dem Hochsitz des Hausherrn und starrte triefäugig auf Thorulfs jüngste Tochter, die zu Ehren des hohen Besuchs ihr Festtagskleid angelegt hatte.
»Wie heißt du?« fragte der König.
»Herthrud, Herr«, antwortete Thorulfs Tochter, indem sie, die unter Haralds stierem Blick schon zu schwitzen begonnen hatte, vom Halsansatz bis zur Stirn jäh errötete.
»Sie soll bei mir schlafen«, sagte der König zu Thorulf. »Obwohl nicht zu erwarten steht, daß sie mir größeres Vergnügen bereiten wird als jenes, meine alten Glieder zu wärmen.«
Thorulf dankte in wohlgesetzten Worten für die Ehre, die der König damit seinem Haus erwies, und befahl Herthrud, ein heißes Bad zu nehmen. Im übrigen, gab er schmeichlerisch zu verstehen, bleibe abzuwarten, ob der jungfräuliche Leib seiner Tochter die vielgerühmte Lendenkraft des Königs nicht doch zu neuem Leben zu erwecken vermöge.
Über Haralds zerknittertes Gesicht glitt ein Lächeln, als er diese Worte vernahm. »Hörst du, Geschichtenerzähler?« wandte er sich an Björn. »Aus dem Mund dieses Bauern spricht das Volk. Es bringt mir Achtung entgegen, weil es nicht glaubt, daß mich das Glück für immer verlassen habe. Du aber, Thorulf, Önunds Sohn, laß sehen, womit du mich für die Nacht zu stärken gedenkst.«
Nun wurden Schüsseln mit dampfendem Fleisch aufgetischt, solchem vom Rind und solchem vom Schwein, aber auch Berge gesottenen Federviehs. Dazu gab es dunkelbraunes Starkbier zu trinken, das Thorulfs Gäste in eine aufgeräumte Stimmung versetzte, während der Hausherr insgeheim zu überschlagen begann, was ihn der Besuch des Königs kosten würde. Führte diese Schätzung schon dazu, daß ihn ein Gefühl des Unbehagens beschlich, so ergriff ihn Entsetzen, als der König den Wunsch äußerte, er möge sich auch darin als ein großzügiger Gastgeber erweisen, daß die Männer draußen an den Lagerfeuern satt zu essen bekämen und genügend Holz, damit sie nicht zu frieren brauchten. Thorulf befahl seinen Knechten, einige Ochsen zu schlachten, aber es half ihm nichts, daß er selbst die magersten aussuchte, denn die ausgehungerten Männer gaben sich nicht eher zufrieden, bis sie nach diesen auch die fetten verschlungen hatten. Seine Hoffnung, daß es damit sein Bewenden haben würde, schwand dahin, als Bue ihm am nächsten Morgen die Entscheidung des Königs übermittelte, noch zwei Tage Thorulfs Gast zu sein. Vergeblich beschwor Thorulf König Haralds Gerechtigkeitssinn, der es doch wohl nicht zuließe, daß man ihn zum Bettler mache, während andere und weit vermögendere Bauern in der nächsten Umgebung ungeschoren davonkämen. Der königliche Ratgeber ließ ihn jedoch nicht einmal ausreden, sondern versetzte mit schneidender Stimme, Thorulf dürfe sich glücklich preisen, daß es ihm vergönnt sei, Harald Blauzahn unter seinem Dach zu beherbergen. So kam es, daß Thorulf Önundsson in wenigen Tagen verlor, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte. Man erzählt, daß er über den Verlust seines Habs und Guts trübsinnig geworden sei und man ihn häufig, sich selbst laut verwünschend, durch den Wald habe irren sehen.
Wie Thorulf erging es vielen Bauern, deren Gehöfte den Weg säumten, auf dem Haralds Heer nach Norden zog. Je nach Witterung zwei oder drei Tage verweilend, hinterließ es eine Schneise aus Kahlfraß und Zerstörung. Denn wenn die Bauern ihre Tore verriegelt
Weitere Kostenlose Bücher