Die Männer von Bravo Two Zero
ich ging, versuchte ich mir darüber
klarzuwerden, was bei den Feindkontakten eigentlich passiert war. Aber es war das absolute Chaos gewesen, und ich kriegte es nicht mehr auf die Reihe. Hinter mir wurde noch immer geschossen.
Es war früh am Morgen des 27. Januar, und ich hatte noch zirka vier Kilometer vor mir. Unter normalen
Bedingungen hätte ich die Strecke mit Gepäck in nicht ganz 20 Minuten laufen können. Aber es war sinnlos, blindlings in Richtung Syrien zu rennen, wo es nur noch eine Stunde dunkel war. Ich wußte nicht, wie anstrengend es sein würde, die Grenze zu überqueren – ob sie aus 245
einem Zaun oder einem hohen Wall bestand, ob sie
schwer bewacht oder unbewacht war. Und selbst wenn ich es am hellichten Tag nach Syrien schaffen würde, mit was für einem Empfang konnte ich rechnen?
Ich befand mich etwa einen Kilometer südlich des
Euphrat und einen Kilometer nördlich einer Stadt. Das Gebiet wurde mit Hilfe von dieselgetriebenen Pumpen bewässert, die in Abständen am Fluß entlang installiert waren. Das Getreide stand knapp einen halben Meter hoch. Ich hatte mich von den Wegen ferngehalten und bewegte mich mitten durch das Feld, wobei ich die Füße unten dicht neben den Pflanzen aufsetzte. Mir war klar, daß ich trotzdem Spuren hinterließ. Ich hoffte nur, daß am nächsten Tag niemand aufs Feld gehen würde, um die jungen Pflanzen zu pflegen, die trotz des Frostes recht gesund aussahen.
Ich war voller Optimismus. Ich hatte die
Feindkontakte überlebt, und das allein zählte. Das letzte Gefecht war wie eine gewaltige Hürde gewesen, die ich überwunden und hinter mir gelassen hatte, und jetzt war mein Kopf frei.
In vielerlei Hinsicht war das die gefährlichste Phase.
Vermutlich schon seit Urzeiten sind Menschen
vorsichtig, wenn sie eine Handlung planen, aggressiv, wenn sie sie ausführen, und besonders fehleranfällig, wenn es vorbei ist und sie kurz vor dem Ziel sind. Dann werden die meisten nachlässig, und die Katastrophe ist vorprogrammiert. Es ist noch nicht vorbei, sagte ich mir immer wieder – du bist nah dran, aber auch verdammt weit weg.
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Die Adrenalinausschüttung bei den Feindberührungen und das ständige Auf und Ab während der nächtlichen Ereignisse hatten verhindert, daß Schmerzsignale mein Gehirn erreichten. Jetzt, da ich etwas ruhiger geworden war und die Zukunft wieder rosig aussah, spürte ich langsam, wie sehr ich körperlich angeschlagen war. Mit einem Mal empfand ich sämtliche Schmerzen der letzten Tage. Ich war übersät von Schnittwunden und
Prellungen. Während des Kampfes springst du ständig herum, und dein Körper bekommt die ganze Zeit
irgendwelche Stöße ab, ohne daß du sie in dem Moment spürst. An Händen, Knien und Ellbogen hatte ich tiefe Risse, und seitlich an beiden Beinen schmerzhafte
Prellungen. Ich hatte Schrammen und Kratzer von
Dornenbüschen und klaffende Wunden vom
Stacheldraht, die den Schmerzpegel insgesamt noch
erhöhten. Wir waren an die 200 Kilometer über harten Fels- und Schieferboden marschiert, und die Sohlen meiner Stiefel lösten sich allmählich ab. Meine Füße waren in einem schlechten Zustand, völlig durchnäßt und kalt wie Eisblöcke. Ich hatte kaum noch Gefühl in den Zehen. Meine Sachen waren zerfetzt und meine Hände völlig verdreckt, als hätte ich in den letzten zwei Tagen einen Motor repariert. Mein Körper war mit Schlamm bedeckt, der langsam einkrustete, während ich ging.
Schweiß rann mir den Rücken hinab, und im Schritt und unter den Achseln bildeten sich feuchtklamme Flecken.
Arme und Beine waren zwar eiskalt, doch wenigstens war mir am übrigen Körper warm, da ich in Bewegung war.
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Es war noch immer sehr kalt. Der Schlamm war mit
einer dünnen Eisschicht überzogen. Jede Pfütze hatte einen einige Zentimeter breiten, hartgefrorenen Eisrand.
Es war eine schöne, kristallklare Nacht. Die Sterne funkelten, und an jedem anderen Ort der Welt hätte ich staunend zum Himmel geschaut. Doch der sternenklare Himmel bedeutete hier, daß keine Wolken da waren, die den Mond im Westen bedeckten, und kein Wind, der die Geräusche verwehte.
In einigen vereinzelten kleinen Hütten brannte Licht oder brummte ein Generator. In einer Stadt in südlicher Richtung konnte ich Lichter sehen. Hunde bellten; ich schlich an Gebäuden vorbei und hoffte, daß niemand auf mich aufmerksam würde.
Autoscheinwerfer in der Ferne jagten mir einen
Schreck ein. Waren das meine Verfolger? Suchte man jetzt die
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