Die Maetresse des Kaisers
Hieb an der Schläfe, und er sank ohne ein Wort auf die Planken.
Bianca hörte einen dumpfen Schlag und sprang auf.
»Lorenzo«, flüsterte sie. »Lorenzo, antworte mir.«
Sie schlich in die Richtung, in die Lorenzo gekrochen war. Angst ließ ihren Mund trocken werden, und sie musste sich anstrengen, Lorenzos Namen ein weiteres Mal leise zu rufen. Wieder bekam sie keine Antwort. Plötzlich nahm sie eine Bewegung wahr, glaubte aus dem Augenwinkel, einen Mann zu erkennen, und im nächsten Moment warf ihr jemand eine Decke über den Kopf, packte sie um die Körpermitte und hob sie hoch.
Bianca trat um sich, hörte einen Fluch und einen unterdrückten Schmerzenslaut, aber die Gestalt hielt sie fest umklammert und ließ nicht los. Ihre Arme waren gefangen, die Decke nahm ihr die Sicht und – schlimmer noch – die Luft.
Sie spürte, wie sie über das Schiffsdeck gezerrt wurde, dann warf der Mann sie wie einen Sack über seine Schulter. In Panik erkannte sie, dass sie verschleppt wurde. Sie wollte schreien, aber die Decke dämpfte jeden Laut. Jetzt waren sie an Land. Sie fühlte, wie der Mann auf festem Boden besser vorankam.
Ihr Entführer hatte bislang kein Wort gesprochen, und sie hatte sein Gesicht nicht sehen können. Bianca fragte sich, ob sie den Mann erkennen würde. Seine Statur war groß und kräftig, nicht ungewöhnlich für einen Ritter, denn genau dafür hielt sie ihn.
Obwohl sie vor Furcht kaum denken konnte, befahl sie sich, ihre Kräfte zu schonen. Irgendwann würde auch der Mann schwächer werden, schließlich trug er sie schon ein geraumes Stück Weg.
Wenig später blieb er tatsächlich stehen und ließ seine Beute achtlos auf den Boden fallen. Bianca knallte mit der Hüfte auf einen Stein, und der Schmerz schoss durch ihren Körper. Einen Moment fürchtete sie, ernsthaft verletzt zu sein, aber es gelang ihr, sich auf die Knie zu hocken und sich die Decke vom Kopf zu ziehen. Sie versuchte sich zu orientieren und sah, dass unmittelbar vor ihr eine Kate stand. Der Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war, griff in eine Tasche und zog dünne Stricke heraus. Schnell und geschickt fesselte er ihre Hände, dann die Füße. Zum Schluss band er ein Tuch vor ihren Mund.
Alles, was er tat, erledigte der Mann ruhig, rasch und ohne Zögern. Bianca, die jetzt einen Blick auf sein Gesicht werfen konnte, versuchte sich zu erinnern, ob sie ihn irgendwann kennengelernt hatte, doch ihr fiel keine Begegnung ein. Der Mann kümmerte sich nicht weiter um sie und verschwand in der Kate.
Verschnürt wie ein Stück Fracht lag Bianca auf dem Boden. Aber der Mann hatte einen Fehler gemacht. Er hatte zwar ihre Füße fest gebunden, aber der Knoten an ihren Handgelenken fühlte sich locker an. Wenn es ihr gelänge, die Fesseln abzustreifen, dann gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, ihm zu entkommen.
Vorsichtig bewegte sie ihre Hände, begann zaghaft die Unterarme gegeneinanderzureiben und an den Seilen zu zerren. Ihre anfängliche Sorge, die Fesseln könnten sich festzurren, statt sich zu lösen, erwies sich als unbegründet. Ganz langsam bekamen ihre Handgelenke mehr Spielraum, und dann – plötzlich – war sie frei.
Fieberhaft konzentrierte sie sich jetzt auf ihre Füße, zog und zerrte an dem Knoten, doch hier hatte der Mann in Schwarz mit größerer Sorgfalt gearbeitet. Die Fesseln saßen fest, und verzweifelt erkannte sie, dass ihre Finger das Seil nicht lösen würden. Sie brauchte ein Werkzeug, irgendetwas, womit sie den Strick durchtrennen könnte. Tränen des Zorns traten ihr in die Augen. Warum, verdammt, hatte sie kein Messer? Lorenzo besaß eines, aber sie selbst war unbewaffnet. Sie verfluchte ihren Leichtsinn, sich ganz und gar auf Lorenzo verlassen zu haben.
Ein Pferd schnaubte, und Bianca hörte, dass sich ein Reiter näherte. Auch der Mann in der Kate war aufmerksam geworden, sah aus der Türöffnung und pfiff leise. Auf das Signal hin schnalzte der Reiter mit der Zunge, und sein Pferd wechselte in einen leichten Trab.
Bianca beeilte sich, den Strick wieder notdürftig um ihre Handgelenke zu wickeln, und legte sich reglos auf den Boden.
»Nun, wo steckt unsere schöne Pilgerin?«, fragte eine Stimme, und Bianca erstarrte.
Heinrich von Passau. Wie war das möglich? Woher wusste er, wo er sie finden konnte?
Ihr Entführer trat aus der Kate und deutete mit einem Kopfnicken in ihre Richtung. Heinrich von Passau stieg vom Pferd und schlenderte langsam auf sie zu. Genüsslich betrachtete er seine
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