Die Maetresse des Kaisers
in drei Tagen, hoffe ich.«
Bianca sehnte sich nach dem Meer. Sie war noch nie an der Küste gewesen, und ein bisschen machte ihr die Vorstellung von endlosen Wassermassen Angst. Aber lieber wollte sie sich der unbekannten See stellen, als weiter die drohende Verfolgung im Rücken zu ertragen oder in dieser feuchten Hitze zu verenden.
»Wenn wir das Meer erreicht haben, sind wir in Sicherheit«, beruhigte Lorenzo sie und sich selbst.
»Ich glaube nicht, dass mein Bruder uns über die Küste hinaus nach Brindisi verfolgen lässt. Wenn er uns bis dahin nicht gefunden hat, wird er nachgeben.«
»Vielleicht«, erwiderte Lorenzo und senkte dann schnell den Kopf, da sich ihnen ein Mann näherte.
»He, ihr, Pilger«, rief er. »Im nächsten Hafen nehmen wir eine Gruppe Ritter und ihre Pferde an Bord. Es wird eng werden. Seht zu, dass ihr nicht im Weg seid.«
Lorenzo nickte demütig. Es war besser, sich still und unauffällig zu verhalten und vor allem keinen Widerstand zu leisten. Die Bootsbesatzung bestand aus lauten, ungehobelten Kerlen. Sie würden nicht zögern, zugunsten einer Handvoll zahlungskräftiger Ritter zwei arme Pilger kurzerhand über Bord zu werfen. Und dann wären sein Schicksal und das der Gräfin endgültig besiegelt, denn wie sollten sie lebendig ans Ufer kommen? Keiner von ihnen konnte schwimmen.
Bianca sah Lorenzo erschrocken an. »Was sind das für Ritter?«, flüsterte sie. »Glaubst du …«
»Nein«, unterbrach er sie. »Ich glaube nicht, dass Euer Bruder diese Männer schickt. Vielleicht sind es Ritter auf dem Weg ins Heilige Land? Einer der Schiffsjungen hat berichtet, dass alle Händler ihre Waren zur Küste schaffen, weil ein großes Kreuzfahrerheer in See sticht.«
Ein Kreuzzug, dachte Bianca. Also würden viele Ritter, aber auch viele Pilger unterwegs sein. Rasch überschlug sie die Möglichkeiten, die sich ihnen boten. Die meisten Kreuzfahrer schifften sich in Venedig ein. Dort war auch ihr Bruder vor einigen Jahren an Bord eines Schiffes gegangen, um zu der Hafenstadt Damiette zu gelangen. Die geschäftstüchtigen Venezianer waren allerdings dafür bekannt, vor einem Kreuzzug die Preise für Schiffspassagen kräftig zu erhöhen. Und Bianca fragte sich besorgt, ob sie und Lorenzo unter diesen Umständen überhaupt ein Schiff bezahlen könnten, selbst wenn ihr Ziel nur Apulien hieß.
Vielleicht wäre es besser, überlegte Bianca, Venedig zu meiden und in einem anderen, kleineren Hafen ein Küstenschiff zu suchen. Sie hatte von einer Stadt gehört, die ebenfalls als Tor zum Adriatischen Meer galt – Comácchio, am südlichen Rand des Flussdeltas gelegen. Von hier fuhren Schiffe weit über das Meer nach Kreta und Rhodos, sagenhafte Inseln, den Seefahrern schon seit Urzeiten bekannt.
Bianca lehnte sich an die Bordwand und versuchte sich dem sanften Schaukeln der Wellen anzupassen. Mit etwas Glück würden sie in Comácchio eine Passage nach Brindisi bekommen. Und mit noch etwas mehr Glück würde die Zahl der Pilger überall in den Küstenstädten so groß sein, dass sie und Lorenzo in der Menge verschwinden könnten.
Sie schloss die Augen, träumte von dem Ritter Tristan, der die schöne Isolde über das Meer geholt hatte, und ließ sich von dem Fluss in einen leichten Schlaf schaukeln.
R uckartig war Lorenzo wach. Er hatte lange gegen die Müdigkeit angekämpft, hatte sich nicht entspannen können und musste letztlich doch eingenickt sein. Es war inzwischen dunkel geworden, und das Schiff hatte festgemacht. Von vorn hörte er leise Stimmen, die Besatzung, wie er vermutete. Lorenzo sah sich vorsichtig um, bemüht, Bianca nicht zu wecken, die neben ihm auf den nackten Schiffsplanken schlief. Er wusste nicht, warum, aber er spürte Gefahr. Eine innere Unruhe zwang ihn, sich aufzusetzen, um das Ufer genauer im Blick zu haben. Viel konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen, aber alles schien ruhig. Verdächtig ruhig.
Lorenzo entschied sich, Bianca zu wecken, und berührte sie an der Schulter. Sofort schreckte sie auf und sah ihn fragend an.
»Was ist?«, flüsterte sie.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Lorenzo zurück. »Es ist nur ein Gefühl.«
Auf allen vieren kroch er ein Stück von Bianca fort, um die andere Seite des Schiffs besser einsehen zu können. Er bewegte sich lautlos und elegant wie eine Katze, hielt aber abrupt inne, als ihm unvermittelt ein Mann in den Weg trat.
Das Letzte, was Lorenzo erkannte, war die vollkommen schwarze Kleidung des Mannes, dann traf ihn ein
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