Die Maetresse des Kaisers
abgelegt. Er hörte gedämpfte Stimmen und sah ein Licht an Deck, doch niemand schien sich um ihn zu kümmern. Er wurde weder bewacht, noch hatte man ihn gefesselt. Vielleicht, überlegte Lorenzo, hielt man ihn für tot.
Er hatte das Gefühl, langsam wieder denken zu können, und versuchte sich zu orientieren. Sie fuhren flussabwärts, Richtung Küste. Diese Erkenntnis beruhigte ihn etwas, aber dann überfiel ihn der Schrecken mit ganzer Wucht – Bianca war fort. Er erinnerte sich, dass er ein Geräusch gehört hatte, bevor der Hieb ihn traf. Er hatte die Gräfin allein gelassen, um nachzusehen. Und jetzt konnte er sie nirgendwo entdecken. Was, wenn sein Angreifer Bianca entführt hatte?
Lorenzo ließ seinen Kopf in die Hände sinken und malte sich die entsetzlichsten Möglichkeiten aus. Das, was er die ganze Zeit befürchtet hatte, war eingetreten. Ihre Flucht war vereitelt worden, die Männer des Grafen Lancia oder – noch schlimmer – gedungene Mörder von Enzio Pucci waren ihnen dicht auf den Fersen gewesen und hatten sie überrumpelt. Genauer, er, Lorenzo, Falkner der schönen Gräfin Bianca, hatte sich wie ein Narr überrumpeln lassen und damit Biancas Leben aufs Spiel gesetzt.
»O mein Gott«, stöhnte er. »Was kann ich nur tun?«
So schnell wie möglich musste er von diesem Schiff runter, zurück flussaufwärts laufen und Bianca da suchen, wo er sie verloren hatte. Entweder wartete er, bis die Besatzung an einem Anleger festmachte, oder er sprang während der Fahrt über Bord.
Fieberhaft suchte Lorenzo nach einer Möglichkeit, sicher ans Ufer zu kommen. Auf der Jagd hatte er Hirsche gesehen, die in Panik in Flüsse rannten, mit der Strömung kämpften und tatsächlich das andere Ufer erreichten. Die Tiere ruderten mit den Beinen und hielten den Kopf geschickt über Wasser. Auch Hunde und Pferde konnten schwimmen, oft genug hatte er reitend ein Gewässer durchquert. Konnte er es wagen, wie ein Hund durch den Fluss zu paddeln?
Lorenzo entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen und auf Gottes Hilfe zu hoffen. Er kletterte über die Bordwand, klammerte sich an die Schiffswand und ließ sich außenbords in den Fluss gleiten. Das Wasser war kühl, aber nicht kalt, und im ersten Moment empfand er sein abenteuerliches Bad als Erholung nach der Schwüle des Tages. Dann ergriff ihn die Strömung und drückte ihn unter Wasser.
Bianca war dem Schiff nahe genug, um den Schatten zu sehen, der den Kahn auf so ungewöhnliche Weise verließ. Sie kniff die Augen zusammen, um in der dämmrigen Dunkelheit mehr erkennen zu können. Sie hatte sich nicht getäuscht. Da war etwas über Bord gefallen und trieb jetzt in der sanften Dünung des Flusses. Sie konzentrierte sich und sah, wie eine Gestalt mit der Strömung und den Strudeln des Flusses kämpfte. War das ein Tier? Oder ertrank da ein Mensch? Sie lenkte das Pferd näher ans Ufer. Eben noch hatte sie deutlich einen Schatten im Wasser gesehen, jetzt war er verschwunden.
Da, sie entdeckte einen Kopf. Jemand ruderte mit den Armen. Bianca war sich jetzt sicher, dass ein Mensch im Fluss schwamm, sich mit letzter Kraft gegen das Ertrinken wehrte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und ritt durch das Schilf am Ufer hinein ins Wasser, immer weiter, bis das Pferd zu schwimmen begann. Der Körper im Wasser trieb von ihr weg, doch auch ihr Pferd wurde jetzt von der Strömung erfasst und schwamm geschickt in Richtung des Ertrinkenden.
»He«, rief Bianca und versuchte den Menschen auf sich aufmerksam zu machen. »He, Ihr, haltet Euch über Wasser. Ich bin gleich da.«
Die Gestalt tauchte zwischen den kleinen Flusswellen auf und drehte den Kopf in ihre Richtung. Bianca war jetzt ganz nah und konnte sehen, dass es ein Mann war, der da schwamm. Und dann plötzlich erkannte sie Lorenzo.
»Lorenzo«, schrie sie, »nicht untergehen, kämpfe. Kämpfe um dein Leben, ich komme, um dir zu helfen.«
Lorenzo musste sie gehört haben, denn er drehte sich in ihre Richtung und paddelte verzweifelt gegen die Strömung des Flusses. In dem Moment, als er erneut unter Wasser verschwand, griff sie einen Zipfel seines Pilgergewands.
»Lorenzo«, rief sie, »ich halte dich.«
Sie spürte eine Hand, die sich an ihr Bein klammerte, und fühlte die Panik des Pferdes, das gegen die fremde Gestalt unter Wasser aufbegehren wollte. Aber alle drei ruderten und strampelten sie jetzt zum rettenden Ufer, schleppten sich mit letzter Kraft durch das Schilf und krochen erschöpft an Land.
Bianca,
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