Die Maetresse des Kaisers
Heilige Land reisen wollten, um dort die Stätten der Christenheit gegen die Ungläubigen zu verteidigen. Insgeheim war sie froh, dass ihr eigenes Ziel nicht jenseits des riesigen Meeres lag. Ihr schauderte bei dem Gedanken an die Gefahren, die ein Kreuzzug für alle, die ihm folgten, bereithielt.
Am Horizont konnte sie einen Turm erkennen und betete, dass es sich um die Kirche von Comácchio handelte. Ihre Füße waren wund, die Hüfte schmerzte nach wie vor von ihrem Sturz auf den Stein, und ihre Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an. Ein kurzer Seitenblick auf Lorenzo verriet ihr, dass es ihm nicht besserging. Von Zeit zu Zeit fasste er sich verstohlen an den Kopf und betastete seine immer noch beachtliche Beule.
»Sollen wir Rast machen?«, fragte sie Lorenzo.
Der schüttelte trotzig den Kopf. »Noch ein paar Stunden, und wir haben es geschafft. Wenn wir ein Schiff gefunden haben, können wir tagelang ausruhen.«
»Wenn alle nach Süden wollen, werden wir Mühe haben, einen Platz zu bekommen«, wandte Bianca ein.
»Heinrichs Geld wird uns helfen«, beschwichtigte Lorenzo. »Auch Kapitäne sind bestechlich.«
Die Pilger wanderten langsam der Stadt entgegen, und Bianca konnte fasziniert beobachten, wie im Dunst des Nachmittags mehr und mehr Details erkennbar wurden – die Stadtmauer und das große Tor, durch das die Reisenden zogen, der Campanile der Kirche und einige Palazzi, die von den Patriarchen der Stadt bewohnt wurden.
Auch der Verkehr Richtung Comácchio wurde allmählich dichter. Fuhrwerke mit Säcken voller Lebensmittel überholten die Pilger, Mägde und Knechte trieben Vieh über die Straße, und manchmal sah Bianca Frauen in farbigen Gewändern, die hinter einem Trupp Ritter herzogen.
»Huren«, beantwortete Lorenzo ihren fragenden Blick. »Huren für die Ritter und Söldner.«
Auf den schmalen Kanälen rechts und links der Straße sah sie kleine Boote, in denen Männer mit langen Stöcken durch das seichte Wasser stakten. Die Luft war voll mit dem Geschrei von Tausenden Wasservögeln, und Bianca, deren Heimat das hüglige und bergige Piemont war, starrte wie gebannt auf das flache Delta, das in der Hitze flimmerte. Begeistert wies sie Lorenzo auf einen großen Schwarm Reiher hin, der in dem flachen Wasser stand und nach Fischen jagte.
Alles schimmerte in den unterschiedlichsten Nuancen von Blau und Grün, und die gleißende Sonne zwang sie, die Augen zusammenzukneifen. Comácchio, das wie seine große Schwester Venedig in einer Lagune erbaut war und aus vielen kleinen Inseln bestand, schien geradewegs aus dem Wasser zu wachsen. Noch nie hatte sie eine so ungewöhnliche und so märchenhafte Stadt gesehen. Für eine Weile vergaß sie ihre Angst und ihre Sorgen und genoss den Anblick von vollkommener Schönheit.
»He, Pilger«, brüllte ein Mann mit vom Wetter gegerbtem Gesicht. »Genug gelaufen. Nehmt ein Schiff übers Delta.«
Die Fährleute am Rande der Stadt buhlten lautstark um die Gunst von Pilgern und Rittern, und die beiden Flüchtlinge entschlossen sich, eines der kleineren Boote Richtung Hafen zu nehmen.
»Wisst Ihr von einem Schiff, das nach Süden segelt? Wir sind auf dem Weg nach Bari«, fragte Lorenzo den Fährmann.
»Alle Schiffe segeln nach Süden, aber nicht nach Bari, sondern nach Brindisi«, gab er mürrisch zurück. »Jeder Pilger und jeder Ritter will ins Heilige Land.«
»Kennt Ihr einen Kapitän mit einem zuverlässigen Schiff?«
Der Fährmann, der auf und mit dem Wasser groß geworden war, warf den beiden Pilgern auf seinem Boot den typisch abschätzenden maritimen Blick zu, den Küstenbewohner für alle reservieren, die aus höher gelegenen Regionen des Landes kommen.
»Wenn Ihr glaubt, ein zuverlässiges Schiff schaukelt nicht, dann irrt Ihr Euch.«
»Ich meine ein Schiff, das uns sicher nach Brindisi bringt«, beharrte Lorenzo.
»Fragt nach der Stella Maris. Ihr Kapitän kennt das Meer so wie ich die Kanäle von Comácchio. Ihr findet keinen besseren.«
Bianca nickte Lorenzo zu, und in stummer Übereinkunft beschlossen sie, ihr Glück mit der Stella Maris zu versuchen.
»Gut«, sagte Lorenzo, »dann auf zum Hafen.«
M anfred Lancia beobachtete argwöhnisch den Medicus, der zum dritten Mal an diesem Tag den Verband über Enzio Puccis Wunde erneuerte. Seit Tagen driftete der Graf von Tuszien von einer Bewusstlosigkeit in die nächste. Die Wunde in seinem Rücken hatte sich böse entzündet.
Der Medicus schnitt unablässig Kräuter, zerstampfte sie im
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