Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Cosa Nostra wirklich ist. Bezogen auf die Geschichte der Familie Greco aus Ciaculli schreibt Lupo: »Wir werden in dieser
Geschichte der Mafia
einer beunruhigenden Kontinuität von Gruppen, Orten, Erfahrungen und Bereichen mafioser Machenschaften begegnen.Seit mehr als hundert Jahren üben die Greco im Viertel Ciaculli und innerhalb der Mafiaelite der Stadt Palermo die Macht aus – hundert Jahre, in denen sich Wirtschaft, Gesellschaft und Politik grundlegend verändert haben. Alles hat sich verändert, doch diese territoriale Herrschaft ist geblieben.«
Die Einigung Italiens, die industrielle Revolution, der Erste Weltkrieg, der Faschismus, der Zweite Weltkrieg, die fünfziger und sechziger Jahre, die Landung des ersten Menschen auf dem Mond … und in Ciaculli haben nach wie vor die Greco das Kommando. Darin besteht die historische Kontinuität der Cosa Nostra. Das ist die Mafia.
90. Wie wurde die Mafia in der Presse dargestellt?
Auch in der Zeitungsberichterstattung herrschte lange ein tiefes Schweigen: Über die Mafia wurde weder gesprochen noch geschrieben. Erst ab Mitte der fünfziger Jahre erhoben sich Stimmen gegen die Mafia. Die maßgeblichste und mutigste war die der Zeitung
L’Ora
aus Palermo. Sie wurde schon am Nachmittag gedruckt und war am frühen Abend an allen Kiosken im westlichen Sizilien erhältlich. Mit ihrer investigativen, kämpferischen Berichterstattung gelang es dieser kleinen Zeitung, sich in ganz Italien Gehör zu verschaffen und sich den Ruf als eine bedeutende Stimme des italienischen Journalismus zu erobern. Vittorio Nisticò war ein herausragender Chefredakteur, herausragend waren auch seine Mitarbeiter, die Journalisten Marcello Cimino, Giuliana Saladino, Mario Farinella, Felice Chilanti, Aldo Costa und Mauro De Mauro. Von ihnen stammen die ersten großen Untersuchungen zur Mafia von Corleone, zu Vito Ciancimino und Salvo Lima, zur Schutzgelderpressung auf den Schiffswerften und dem Obst- und Gemüsemarkt, zur Plünderung Palermos durch eine beispiellose Bauspekulation und zum Klientelsystem in der Region. Die Journalisten von
L’Ora
wurden bedroht und isoliert, das Redaktionsgebäude und die Druckerei mehrmals durch Bombenanschläge zerstört.
Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren war die Redaktion von
L’Ora
Ziel eines Bombenanschlags der Mafia. Den ersten führte die Bande Giuliano im Jahr 1947 aus.
Der Terroranschlag heute Morgen, der sehr viel verheerender war als der damalige, hatte vor allem ein Ziel: uns einzuschüchtern. Wir haben keinen Zweifel, dass er von Personen oder Gruppen geplant und durchgeführt wurde, die sich vor den Folgen unserer Pressekampagne fürchten.
L’Ora
, 20. Oktober 1958
In
L’Ora
schrieben zahlreiche bedeutende Sizilianer: Leonardo Sciascia, Renato Guttuso, Michele Perriera, Lillo Roxas, Vincenzo Consolo und Michele Pantaleone, Enzo Sellerio, Bruno Caruso – und Danilo Dolci. Die Geschichte dieser Zeitung, die ihr Chefredakteur ein »Geschöpf aus Papier« nannte, ist die Geschichte von Männern und Frauen, von starken Leidenschaften, Tragödien und Hoffnungen.
Der aus Triest stammende Danilo Dolci kam in den fünfziger Jahren nach Sizilien, um denen, die noch nie eine Stimme gehabt hatten, Gehör zu verschaffen. Der Soziologe, Anthropologe, Philosoph, Musiker, Schriftsteller und Dichter war ein Grenzgänger. 1965 trug er fünfzig Zeugenaussagen über die mutmaßlichen Beziehungen des Ministers Bernardo Mattarella und des Staatssekretärs im Gesundheitsministerium Calogero Volpe zu Mafiakreisen zusammen. Die Dokumente übergab er dem parlamentarischen Antimafia-Ausschuss. Er wurde von den beiden Politikern verklagt, verlor den Prozess und wurde zu zwei Jahren Haft wegen Verleumdung verurteilt.
Die Mafia mag es vor zwanzig Jahren gegeben haben, heute ist sie am Ende. Aber ihr Journalisten beharrt immer noch darauf … Narren seid ihr, Narren!
Calogero Volpe, Vorsitzender der Democrazia Cristiana von
Caltanissetta, Parlamentsabgeordneter, zwischen 1960
und 1970 Staatssekretär, zunächst für Gesundheit, später
für Post und Telekommunikation
Die Zeitung
L’Ora
– wie
Paese Sera
in Rom aus dem Umfeld der Kommunistischen Partei – wandelte sich Ende der siebziger Jahre zu einer journalistischen Kooperative und stellte nach schweren finanziellen Nöten im Mai 1992 ihr Erscheinen ganz ein. Aber da war sie schon seit einiger Zeit nicht mehr Nisticòs »Geschöpf aus Papier«. Sie hatte dem italienischen
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