Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Bedrohung reagiert – oder wie andere gegen seinen Willen daraus Kapital schlagen. Einige, wie Roberto Saviano, sind nach den Drohungen populär oder sogar weltberühmt geworden. Anderen ist es gelungen, sich im Hintergrund zu halten und in aller Stille weiterzuarbeiten. Das kann eine persönliche Entscheidung sein, in jedem Fall aber lässt sich von außen schwer sagen, was richtig oder falsch ist. Es hängt von den jeweiligen Umständen ab und von der Wahrnehmung, den Grundsätzen und Zielen des Betroffenen.
Über dieses Thema zu sprechen und sich dabei immer nur auf andere zu beziehen ist so schwierig, dass ich es vorziehe, von meinen eigenen Erfahrungen zu erzählen: meinen Erfahrungen der letzten fünfundzwanzig Jahre, in denen ich aus Palermo über die Mafia berichtet habe.
Anonyme Briefen, einschüchternde Anrufe oder laut herausgeschriene Drohungen machten mir selten Angst. (Meist hielt ich es nicht für notwendig, Strafanzeige zu erstatten; das empfandich stets als die Sache derer, die wir in Sizilien als »incagliacani« bezeichnen, »Hundefänger« – Leute von geringem Wert.) Angst, große Angst jedoch hatte ich vor einer anderen Botschaft der Mafia, die sehr viel raffinierter, heimtückischer und weniger leicht durchschaubar ist.
Einmal bestand der Anwalt und
consigliori
(Berater) einiger Bosse darauf, mir einen Kaffee auszugeben, und kam dann mit einem Lächeln auf den Lippen auf einen Artikel von mir zu sprechen, der drei, vier Monate zuvor erschienen war und der seinem Mandanten, einem der bekanntesten Drogenhändler Siziliens, »nicht gefallen« hatte. Lächelnd erzählte er mir in immer eindringlicheren Details von der Verärgerung seines Mandanten. Damals habe ich gezittert. Ein anderes Mal ließ man mich im Gespräch beiläufig wissen, was ich an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit gemacht und mit wem ich mich getroffen hatte: Man hatte mich observiert. Ich hatte große Angst – wie jedes Mal, wenn die Signale nicht direkt von den Bossen kamen, sondern mich auf beunruhigenden Umwegen erreichten: aus den Apparaten und aus zweifelhaften Ermittlerkreisen.
Die größte Angst aber – und ich glaube, das gilt für alle Journalisten, die über die Mafia berichten – erwächst aus der Einsamkeit. Das Gefühl der Einsamkeit ist am schlimmsten. Wer allein auf weiter Flur steht oder nur wenige Mitstreiter an seiner Seite hat, der ist extrem gefährdet. Er geht das größte Risiko ein.
Jede Bedrohung hat ihre Geschichte, ihr ermutigendes oder entmutigendes Drumherum. Anfang 2010 erhielten fünf kalabrische Journalisten binnen weniger Wochen Warnungen der ’Ndrangheta. Ihre Autos wurden in Brand gesteckt, sie bekamen Umschläge mit Patronenhülsen, anonyme Briefe. Die überregionale Presse – mit Ausnahme von
La Repubblica
,
Il fatto quotidiano
und
Il manifesto
– ignorierte die Nachricht. In Reggio Calabria und in der Ebene von Gioia Tauro brach eine regelrechte kriminelle Kampagne zur Unterdrückung der Berichterstattung los: Die Bosse wollten nicht, dass man über sie spricht.Doch trotz dieser Einschüchterungen, trotz der Strategie der Spannung, die die ’Ndrangheta in jenen Monaten verfolgte, wurde der Fall der fünf bedrohten Journalisten kaum öffentlich bekannt.
Die namenlosen Journalisten, die unbekannten Reporter, die in Sizilien, Kalabrien und Kampanien arbeiten, führen einen täglichen Krieg, von dem kaum jemand etwas weiß. Sie bilden ein Heer ohne Waffen, das eingekreist und umzingelt ist.
Den Vormittag des 22. Februar verbrachte ich mit Giuseppe Baldessarro, wir verabschiedeten uns kurz vor Mittag. Später erfuhr ich, was dann passierte. Giuseppe Baldessarro ist Journalist wie ich. Als politischer Korrespondent hat er diesem Haufen Banditen, die sich an den Futtertrögen der Steuergelder gütlich tun – oft dank der Wahlunterstützung durch die eigene Klientel und die ’Ndrangheta –, schon einigen Ärger bereitet.
Er landete den Knüller über die Stellenbesetzungen im kalabrischen Regionalrat: das Gesetz, dem zufolge die Mitarbeiter der Regionalräte für besondere Aufgaben auf unbefristete Zeit eingestellt werden. Diese Mitarbeiter werden von den Regionalräten direkt bestimmt und sind fast durchweg Freunde und Verwandte.
Vor zwei Tagen hat uns Baldessarro erzählt, wie ein Pfarrer, ein Kommunalrat und zwei Mafiosi zwischen den Regionalwahlen 2005 und den Kommunalwahlen 2007 ein politisches Strategiekonzept austüftelten.
Zwei Tage in Folge berichtete
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