Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
fühlen musste. Vielleicht sollte er doch Croschs Haus aufsuchen. Gabriel war sicher nicht vom Erdboden verschluckt worden. Doch die Gefahr war zu groß. Er, Iven, würde für immer aus der Stadt verbannt, wenn Crosch ihn an einem Wochentag ohne Siechenmantel erblickte. Er wog die Gefahr gegen die Aussicht auf Erfolg ab. Schließlich setzte er auf Ännis Scharfsinn und begab sich wieder auf die Straße nach Aachen.
Änni schreckte auf und starrte in die Dunkelheit. Hatte sie tatsächlich die Schreie eines Kindes vernommen, oder spielten die Geister der Träume ihr einen Streich? Sie rieb sich mit den Fäusten die Augen, klopfte mit den flachen Händen auf ihre Ohren und horchte erneut auf. Da! Da war es wieder: das Schreien eines Säuglings – ganz leise durch die Wände zu hören. Gabriel!
Mit einem Satz war Änni aus dem Bett und schlich durch die dunkle Kammer zur Tür, um sie leise zu öffnen. Der Schein von Öllampen stahl sich die Stiegen herauf. Von unten drang Merghs gedämpfte Stimme. Um die Worte verstehen zu können, huschte Änni auf Zehenspitzen den Flur entlang und hockte sich auf die Treppe. Eine weitere Stimme erklang, die Änni fremd war. Sie lauschte angestrengt auf die Wortfetzen, doch plötzlich fiel eine Tür in den Rahmen. Die Stimmen waren verstummt. Änni erhob sich und schlich die Stiegen hinab. Im Untergeschoss vernahm sie erneut die gedämpften Stimmen, die aus Gotthardts Arbeitszimmer drangen. Lautlos näherte sie sich der Tür und legte ihr Ohr an das Holz. Ihr Herz schlug so laut, dass Änni fürchtete, es könnte sie verraten.
Hinter der Tür wimmerte ein kleines Kind. Da ertönte Merghs Stimme: »Warum hast du ihn hierhergebracht? Habe ich dir nicht gesagt, dass wir uns um das Balg kümmern werden, wenn alles andere erledigt ist? Nun haben wir auch noch diesen Bastard am Hals.«
»Wir könnten ihn töten. Dann sind wir die Dämonen los«, wandte Gotthardt ein.
Änni schlug sich die Hand vor den Mund.
Die fremde Stimme stimmte lautes Wehklagen an.
»Bring die Vettel zum Schweigen! Sie weckt die ganze Straße auf.« Mergh schnaufte wie eine durchgegangene Kuh.
Ein Poltern war zu hören, dem eine gespenstige Stille folgte.
»Und nun?« Gotthardts Stimme zitterte.
»Wirf sie von mir aus in den Dreck der Gasse. Warum hast du nur dieses Bettelweib ins Vertrauen gezogen? Ein Ausbund an Stumpfsinn bist du!«, keifte Mergh.
»Sollte ich mir etwa selbst die Hände schmutzig machen? Sie sollte die Brut aus dem Haus der Kappesbäuerin holen und bei sich verwahren. Gegen gutes Geld, versteht sich. Davon, dass sie das Balg hierherbringt, war nie die Rede.«
»Schaff das Weib hinaus! Ich kann den Gestank nicht mehr ertragen.«
Kurz darauf ertönte ein schleifendes Geräusch. Änni wich zurück und presste den Rücken so flach wie möglich gegen die Wand. Da flog auch schon die Tür auf. Als sich die Schritte und das Schleifen entfernten, wagte sie einen Blick. Gotthardt zog den leblosen Leib einer alten Frau an den Armen aus dem Haus.
Ännis Knie zitterten, und sie ging hinter der Tür in die Hocke.
Plötzlich erblickte sie Merghs giftgrüne Augen über sich.
»Wusst ich’s doch! Dein Ohr klebt an der Tür.«
Das Blut stockte in Ännis Adern, und sie fiel vor Schreck auf den Hintern.
Mergh riss sie am Arm in die Höhe. »Ich werde dich lehren zu lauschen!« Mit der Kraft einer Bärin zerrte sie Änni zur Abstellkammer und stieß sie in das dunkle Loch.
Ehe Änni sichs versah, war die Tür ins Schloss gefallen und der Riegel vorgeschoben. Sie trommelte mit den Fäusten gegen das Holz und schrie um Hilfe. Nach einer Weile schmerzten die Handballen, und ihre Stimme versagte. Es war ohnehin vergeblich. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen. Thomas schlief im Schuppen, und wenn Stina erst einmal die Lider zum Schlaf geschlossen hatte, konnte um sie herum das Haus zusammenstürzen, ohne dass sie etwas davon bemerkte. Änni versuchte, ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch sosehr sie sich auch bemühte, sie sah nicht einmal ihre eigene Hand vor der Nase. Also galt es, die Ohren zu spitzen. Hoffentlich taten Mergh und Gotthardt dem Kleinen nichts an! Änni wurde es angst und bange, als sie sich an Gotthardts Worte erinnerte. Obwohl sie Mühe hatte, vor Furcht um den Jungen nicht in unkontrolliertes Zittern auszubrechen, nahm sie ihre ganze Kraft zusammen und konzentrierte sich auf die Stimmen. Doch schon nach kurzer Zeit musste sie feststellen, dass sie außer einem undeutlichen
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