Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
sich so leer, als hätte in ihrem Leib auch ein Feuer gewütet. Sie schloss die Augen und versuchte, sich Ivens Gesicht in Erinnerung zu rufen. Doch alles blieb schwarz wie Ruß.
»Nun komm schon, Leni! Gib nicht so schnell die Hoffnung auf.« Änni schüttelte ihren Arm. »Wir lassen die Kinder in der Obhut der Küchenfrau und fragen die Leute in der Wehrgasse, was geschehen ist.«
Obwohl die Angst vor der Wahrheit ihr die letzte Kraft zu rauben drohte, ließ Alena sich von Änni aus dem Stuhl ziehen.
32. K APITEL
Ü ber der Wehrgasse waberte der Gestank von kaltem Rauch, und eine gespenstige Stille lag über den Dächern der Häuser. Alena wurde übel. Mit jedem Schritt, den sie Ivens Haus näher kamen, zitterten ihre Beine heftiger und wollten sie kaum noch tragen.
Ein Aufschrei entfuhr ihr, als sie den schwarzen Schutt und die Asche erblickte. Von dem Haus war nicht viel übrig geblieben. Ein Haufen verkohlter Planken, mehr nicht. Dieser Hölle war niemand lebend entkommen. Ihr Blick fiel zu dem Schuppen, der unversehrt geblieben war, als hätte ihn eine unsichtbare feuerfeste Hülle vor den Flammen geschützt. Alena rannte los und stieß die windschiefe Tür auf. Beim Anblick der Wasserspeier quollen ihr die Tränen aus den Augen. Kraftlos sank sie in die Knie.
Änni war ihr gefolgt und hockte sich neben sie. »Komm, Leni. Lass uns die Nachbarsleute fragen, was geschehen ist. Wir müssen Gewissheit haben.«
»Ich kann nicht, Änni. Ich habe keine Kraft mehr. Warum nur gab Gott uns nicht die Zeit zur Versöhnung?«, klagte Alena verzweifelt.
»Hör auf mit dem Unsinn! Du weißt doch gar nicht, ob er wirklich tot ist.«
Trotz der namenlosen Angst, die sie erfüllte, ließ sich Alena von Änni auf die Gasse ziehen.
Es dauerte nicht lange, und das Fenster des gegenüberliegenden Hauses öffnete sich. Heraus lugten die grauen Zotteln eines alten Weibes. »Schlimm, schlimm, was da geschehen ist«, jammerte die Alte.
Alena hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Sie wollte nicht hören, was Iven zugestoßen war.
»Was ist mit den Leuten geschehen, die hier gewohnt haben?«, rief Änni zu der Frau hinauf.
Alenas Herz erzitterte.
»Die Alten sind unbeschadet davongekommen. Wie ich gehört habe, hat man sie ins Tollhäuschen gebracht. Aber einen der Söhne hat es erwischt. Sein Bruder, dieser Sänger, hat den schwarzen Leib aus dem brennenden Haus geschafft. Unmöglich, dass der noch am Leben ist. Die Haut hing ihm in Fetzen vom Leib.«
Alena stieß einen spitzen Schrei aus. Um sie herum drehte sich die Gasse. Änni fing sie auf und nahm sie in ihre Arme.
»Wohin haben sie ihn gebracht?«, schluchzte Alena.
Die Alte hob die Schultern. »Bestimmt zum Totengräber. Der hat jetzt ordentlich zu tun, wenn er den wieder herrichten will.«
»Nein, nein!« Alena trommelte mit den Fäusten gegen Ännis Brust. Wie beim Tod ihres Vaters wütete der Schmerz in ihrem Leib. Doch diesmal würde sie ihn nicht überwinden.
Änni strich ihr über das Haar. Auch sie weinte.
Plötzlich hielt sie inne und schaute über Alenas Schulter. »Da kommt jemand«, sagte sie. »Wenn ich mich nicht täusche, ist es Hans Jorgen.«
Alena drehte sich um und sah, wie der Mann auf sie zueilte. Seine Kleidung und seine Haut waren schwarz vom Ruß. In seinen Augen spiegelte sich Schmerz.
»Wohin hast du Iven gebracht?«, fragte Änni ohne Umschweife.
Hans Jorgen holte tief Luft. »Ins Sankt-Katharinen-Spital. Aber es steht nicht gut um ihn. Er will nicht zu Bewusstsein kommen.«
»Er lebt?« Alena sah ihn ungläubig an.
»Ja sicher. Hat jemand etwas anderes behauptet?« Vorwurfsvoll blickte Hans Jorgen zu dem Fenster, an dem die Frau rasch die Läden schloss.
»Komm, Leni! Lass uns ins Spital gehen.« Änni fasste nach Alenas Hand.
Auf dem Weg ins Severinsviertel versuchte Alena, ihre Fassung zurückzugewinnen. Ihre Trauer verwandelte sich in große Sorge.
Der Gestank von Krankheit und Tod lag über dem Krankensaal des Stiftes. Unermüdlich liefen die Ordensschwestern zwischen den Lagerstätten hin und her und versorgten die dahinsiechenden Menschen. Alena hielt den Atem an, während eine der Schwestern sie zu Ivens Bett führte. Unter einer wollenen Decke lugte ein weißer Kopfverband hervor, darin Ivens Gesicht, das mit roten Schrammen übersät war. Er hatte die Augen geschlossen. Nur sein flacher Atem verriet, dass er noch am Leben war.
»Ein glühender Balken hat seinen Kopf getroffen. Der Wundarzt hat ihn versorgt,
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