Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
nur widerwillig zu der Zelle, in der Ivens Eltern wohnten. Ein Mann, ungefähr so groß wie ein vierjähriges Kind, hüpfte vorüber und stieß dabei fremdartige Laute aus.
Die Oberin schloss die Zelle auf und ließ Alena hinein.
Ivens Mutter sprang von ihrem Stuhl auf. »Unser Engel ist da! Sieh nur!«
Alena lächelte und sagte: »Der Engel nimmt euch mit nach Hause.«
»Unser Haus ist abgebrannt, nicht wahr? Das wird jedenfalls behauptet. Deshalb sind wir hier.« Ivens Vater zog die Nase hoch. »Iven hat aber gesagt, dass es nicht für lange ist.«
Alena hob die Augenbrauen. Obwohl die Eltern nicht mehr alle Sinne beieinanderhatten, waren sie liebenswerte Menschen. Ihre Entscheidung, sie zu sich zu holen, war richtig. Auf Ivens Gesicht freute sie sich schon jetzt.
Der Weg aus dem Spital hatte Iven mehr Kraft gekostet, als Alena gedacht hätte. Schwer atmend saß er ihr in der Kutsche gegenüber und blickte sie traurig an. Auf seinem Kopf thronte immer noch ein voluminöser Verband. Alena hatte von den Nonnen gelernt, seine Wunden zu versorgen, und eines wusste sie genau: Haare würden Iven nicht mehr wachsen, auch wenn die Kopfhaut längst verheilt war. Doch was machte das schon? Sie liebte ihn genauso sehr mit kahlem Kopf.
»Hast du Schmerzen?« Alena griff nach seiner Hand.
»Ja, aber sie sind erträglich.«
»Was bedrückt dich denn?«
»Die Sorge um meine Eltern. Sie werden sterben, wenn sie noch länger im Tollhäuschen bleiben müssen.«
»Sorge dich nicht, Iven. Es geht ihnen gut. Ich habe sie besucht, und sie wirkten zufrieden.« Nur das eine Mal noch würde sie lügen, danach nie wieder, das schwor Alena sich in diesem Augenblick. Sie ahnte, dass Iven ihr diese Lüge schnell verzeihen würde.
Als sie das Haus betraten, drang das vertraute Klappern der Kessel aus der Küche. Dazu waberte der Duft von knusprig gebratener Schwarte, vermischt mit dem von süßem Gebäck, durch die Räume. Alena führte Iven in das Speisezimmer, in dem sich die ganze Familie versammelt hatte. Ivens Mutter und sein Vater hielten beide ein Kind im Arm und scherzten mit den Kleinen, dass das Lachen der Kinder durch das Zimmer schallte.
Zum ersten Mal sah Alena Iven weinen.
Am späten Abend, als alle anderen schliefen, setzte sich Alena unter den Apfelbaum im Garten und ließ den Tag noch einmal an sich vorbeiziehen. Allmählich fühlte sie sich in ihrem Haus heimisch. Nur der Vater fehlte ihr in diesem Augenblick mehr als je zuvor. Sie erinnerte sich an den Stern und sah in Gedanken, wie er ihr ein Augenzwinkern schenkte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. »Ich werde dafür sorgen, dass dein Tuchhandel auch weiterhin floriert. Das verspreche ich dir.« Ein lauer Wind streichelte ihr Haar, und sie hätte schwören können, dass es die Hand ihres Vaters war.
Aus den tiefhängenden Wolken ergoss sich ein Schauer, der den Unrat durch die Kölner Gassen spülte. Alena blickte aus dem Fenster und betete, der Starkregen möge bis in die Nacht anhalten. Niemand konnte von ihr erwarten, Gotthardts Hinrichtung wie ein begossener Hund beizuwohnen. Doch zu ihrem Leidwesen zeigte sich schon bald ein blauer Streifen am westlichen Himmel, der Sonnenschein versprach. Der Schauer ließ nach, und nun regnete es nur noch in dünnen Fäden.
Seufzend ließ Alena sich auf ihrer Truhe nieder. In wenigen Stunden würde sie in den Stand der Witwe treten. Ein Gefühl der Erleichterung, auf das sie gehofft hatte, wollte sich nicht einstellen. Stattdessen graute es ihr vor dem Anblick, der sich ihr auf dem Heumarkt bieten würde. Wenn wenigstens Iven ihr hätte zur Seite stehen können! Doch er war noch zu schwach. Alena erhob sich, zog sich das nachtblaue Kleid über und steckte die passende Spitzenhaube mit dem Gesichtsschleier auf ihrem Haar fest.
Sie war gerade fertig, als Änni die Kammer betrat. Um die Schultern hatte sie einen mausgrauen Umhang gebunden. Sie machte ein Gesicht, als wollte sie zu einer Hochzeit gehen und nicht zu einer Hinrichtung.
»Was ist, Leni? Bist du bereit? Gülich wartet unten. Er nimmt uns in seiner Kutsche mit.«
Alenas Eingeweide zogen sich zusammen. Nein, sie wollte nicht an die nächsten Stunden denken. »Ich möchte hierbleiben, Änni.«
»Ach was! Das lassen wir uns nicht entgehen. Ganz Köln ist auf den Beinen. Außerdem ist es deine letzte Pflicht, dabei zu sein, wenn Gotthardt …« Änni fuhr sich mit der Handkante über die Kehle und verdrehte die Augen.
»Hör auf, bitte!«
»Schon
Weitere Kostenlose Bücher