Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
nicht geschlafen. Mit der Geldkatze hatte das nichts zu tun, deren Inhalt interessierte ihn im Grunde nicht. Es waren Ännis Worte, die ihn wach gehalten hatten. Und die Geldkatze, die musste er zurückbringen. Nach und nach bröckelte sein Stolz. In Gedanken sah er vor sich, wie Alena ihm die Tür öffnete, und sein Herzschlag setzte aus.
Beißender Rauch drang plötzlich in seine Nase und riss ihn aus seinen Gedanken. Er sprang auf und stürmte die Stiegen hinunter. Das Feuer unter dem großen Kessel hatte bereits auf das danebenliegende Stroh übergegriffen. Seine Mutter hielt einen Krug Bier in der Hand und starrte in die Flammen.
»Nein!«, schrie Iven auf. Doch es war zu spät. Der Inhalt des Gefäßes ergoss sich auf das brennende Stroh. Eine Stichflamme schoss in die Höhe, griff auf die Regale über und begann, sich durch die morschen Holzbretter zu fressen. Ivens Mutter stierte reglos in das Inferno. Mit einem Satz stürmte Iven auf sie zu, riss sie vom Feuer fort und brachte sie ins Freie. Dann hetzte er zurück ins Haus, griff nach einer Decke und versuchte, die züngelnden Flammen zu ersticken. Doch sie ließen sich nicht bändigen und fraßen sich erbarmungslos durch das Holz. Dichter Rauch hüllte ihn ein und brannte in seinen Lungen. Er ergriff ein Tuch, tränkte es mit Wasser und eilte die Stiegen hinauf in die Schlafkammer seiner Eltern. Sein Vater saß heftig hustend in seinem Bett. Iven griff nach dem Arm des Alten und brachte ihn ebenfalls ins Freie.
Dort sah er, dass die Flammen bereits mannshoch aus den Fenstern des Untergeschosses schlugen. Hans Jorgen! Er war noch im Haus!
Iven lief noch einmal in die Feuersbrunst. Die Flammen fraßen sich bereits durch die Deckenbalken, und der dichte Rauch nahm ihm die Sicht. Blind eilte Iven auf die Stiege zu, doch ehe er sie erreichte, streckte ein schwerer Schlag auf den Kopf ihn zu Boden. Der Schmerz war namenlos. Um ihn herum wurde es schwarz.
Änni goss den Eimer in der Gasse aus und blickte sich ungehalten um. War es möglich, dass Iven so stur war und die Geldkatze nicht zurückbrachte? Den ganzen Tag über hatte sie darauf vertraut, ihm jeden Moment die Tür öffnen zu können. Hatte sie sich so in ihm getäuscht?
»Verflucht!«, stieß sie hervor und trat wütend gegen den Eimer.
Thomas, der den Wallach vom Hufschmied abgeholt hatte, erschien mit dem Gaul am Ende der Gasse. Änni griff nach dem Eimer. Sie hatte sich schon zur Haustür umgewandt, da rief der Stallknecht nach ihr. Sie verdrehte die Augen. Gewiss wollte er ihr eine Arbeit aufhalsen.
»Hast du’s schon gehört?«, fragte er stattdessen.
»Was denn?«
»In der Wehrgasse hat es ein Feuer gegeben. Das Haus eines Steinmetzes ist niedergebrannt.«
Änni schüttelte verwirrt den Kopf. »Nein, davon habe ich nichts gehört.« Wehrgasse, Steinmetz – Iven! Sie schrie auf und schlug sich die Hand vor den Mund. »Weißt du etwas von dem Steinmetz?«
Thomas zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, er ist tot. Man sagt, nur die Eltern und der Bruder hätten überlebt.«
Ännis Augen füllten sich mit Tränen. Arme Leni! Diese Nachricht würde sie in tiefste Verzweiflung stürzen. »Bist du sicher?«
»Ich kann nur sagen, was ich gehört habe. Warum ist das so wichtig?«
Ohne zu antworten, wandte Änni sich ab und lief ins Haus.
Gabriel quietschte vergnügt, als Alena ihn in den Zuber mit warmem Wasser gleiten ließ. Sophie war bereits gebadet, nun war er an der Reihe. Seine Händchen schlugen auf die Wasseroberfläche, und die Spritzer verteilten sich auf Alenas Schürze.
Plötzlich vernahm sie Ännis Stimme, die aufgeregt ihren Namen rief. Alena blickte zur Tür, durch die Änni hereinstürmte.
»Leni, es hat ein Feuer in der Wehrgasse gegeben!«
Alena hob Gabriel rasch aus dem Zuber und legte ihn auf das Tuch, das sie auf ihrem Bett ausgebreitet hatte. »Etwa bei Iven?« Mehr brachte sie nicht heraus. Ihr Nacken brannte.
Änni nickte stumm.
»Was ist mit ihm?« Alena trat auf sie zu und rüttelte an ihren Schultern.
»Thomas sagt, er wäre …«
»Nein!«, schluchzte Alena auf, schlug sich die Hände vor das Gesicht und sackte zusammen. Sie spürte, wie Änni nach ihrem Arm griff, sie hochzog und zu dem Stuhl neben dem Bett brachte.
»Leni, vielleicht ist es nur Gerede. Lass uns in die Wehrgasse gehen. Dort werden wir erfahren, was geschehen ist.« Änni umfasste ihre Hand.
Doch in Alenas Herz wollte sich kein Hoffnungsschimmer schleichen. Mit einem Mal fühlte sie
Weitere Kostenlose Bücher