Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Haar wird wohl so weiß bleiben. Das ist doch der Grund, warum die Bäuerin ihr Kind versteckt.«
»Mir wird schon etwas einfallen«, sagte Alena lächelnd und strich ihrem Sohn über den weißen Flaum. »Willst du nicht aufstehen? Deine Figuren warten auf dich.« Sie dachte daran, wie Iven in den letzten Tagen um den Stein geschlichen war. Bisher hatte er den Meißel noch nicht angesetzt, doch das würde sich gewiss bald ändern.
Die Apfelbäume trugen bereits ein gelbes Kleid, das in der Herbstsonne leuchtete. Alena schlenderte durch den Garten und drückte Gabriel an sich. Unter ihrem Lieblingsbaum stand Iven und arbeitete an einem weißen Stein. Das Klopfen des Hammers auf dem Meißel durchbrach die Stille im Garten. Als sie näher trat, erkannte sie das Haupt einer Frau, und beim zweiten Hinsehen entdeckte sie, dass es ihr Ebenbild war. Lächelnd strich sie Iven über den Rücken. »Machst du mich aus Stein?«
Iven drehte sich zu ihr um. »Deine Schönheit ist wie geschaffen für die Ewigkeit.«
Alena betrachtete versonnen das Gesicht ihres Abbildes und fuhr mit den Fingern über die Lippen, auf denen ein Lächeln lag.
»Und dein Lächeln soll die Ewigkeit überdauern.« Iven legte Hammer und Meißel zur Seite und strich sanft über ihre Hand.
In Alenas Arm begann Gabriel zu brabbeln, als wollte er die Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Iven blickte erstaunt zuerst ihn und dann Alena an. »Du hast ihm den Kopf geschoren?«
»Ja. Was hältst du davon? Das ist doch bei einem Jungen nichts Ungewöhnliches, oder?«
»Nein, gewiss nicht.« Iven schob den Verband vom Kopf und fuhr sich verschmitzt mit der Hand über die vernarbte Kopfhaut. »Wie der Vater, so der Sohn.«
»Was heißt das?« Alenas Herz klopfte schneller.
»Wenn das Trauerjahr vorbei ist, werden wir heiraten. Dann nehme ich das Kerlchen auch auf dem Papier als meinen Sohn an. Wenn du das willst …«
Alena legte Gabriel in Ivens Arm und sah ihn gerührt an. »Zweifelst du etwa daran?«
Zur Antwort gab er ihr einen innigen Kuss. Sie verlor sich darin und glaubte zu schweben, bis sie Gülichs aufgeregte Rufe durch den Garten hallen hörte.
»Leute, Leute! Dass ich das noch erleben darf.« Übermütig warf der Rebell seinen Hut durch die Luft. Die Fasanenfeder hatte in der letzten Zeit einiges erdulden müssen, doch diese Kunststücke waren selbst für sie zu viel, und sie verabschiedete sich von der Kopfbedeckung. Gülich beobachtete, wie sie zu Boden glitt. Dann wandte er sich an Alena und Iven. »Ihr glaubt nicht, was die Neuwahlen im Rat gebracht haben.«
»Erzähl es uns, Nikolaus. Aber mach schnell! Bevor du vor lauter Übermut in deinen Hut beißt.« Iven hielt Alenas Hand fest in seiner.
»Ich bin zum städtischen Syndikus gewählt worden.« Gülich warf den nunmehr federlosen Hut erneut in die Luft, wollte ihn auffangen, verfehlte ihn aber. Achtlos ließ er ihn im Gras liegen und strahlte über das ganze Gesicht. »Glaubt mir, von nun an herrscht in dieser Stadt Gerechtigkeit.«
»Davon bin ich überzeugt.« Alena strich über Gabriels kahles Köpfchen.
Gülichs Blick heftete sich auf ihre Finger. »Wo ist denn das außergewöhnliche Haar, das ihm so gut zu Gesicht stand?« Dann schaute er auf und sah Iven an. »Ach, ich verstehe: ganz der Vater.«
»Richtig«, erwiderte Iven stolz.
»Frau Alena?« Gülich griff nach ihrer Hand.
»Warum so förmlich?« Alena ließ ihn gewähren.
»Nun, wo ich mein Ziel in der Politik erreicht habe … na ja … nicht ganz. Es liegt schon noch eine Menge Arbeit vor mir, aber das ist ein anderes Thema. Mir fehlt noch … ich meine …« Gülich hob seinen Hut auf und zerknautschte ihn in den Händen.
»Eine Frau?« Alena neigte amüsiert den Kopf zur Seite. »Dabei hast du bestimmt an Änni gedacht.«
Gülich senkte den Blick und nickte. Den Hut würde er nie wieder tragen können.
»Änni!« Alenas Stimme hallte durch den Garten. »Du verstehst das doch, nicht wahr? Ich muss sie zuerst fragen«, sagte sie an Gülich gewandt.
Änni hatte hinter einem Baum gestanden und gelauscht. Als hätte die Erde sie ausgespuckt, stand sie plötzlich vor ihnen. »Ja, ich will«, strahlte sie. Die Sommersprossen tanzten fröhlich durch ihr Gesicht.
Änni trug einen meergrünen Unterrock, darüber abendrote Röcke und eine Jacke in derselben Farbe. Alena kniete sich vor sie und zog ihr die goldbestickten Strümpfe hoch.
»Dauert es noch lange?«, fragte Änni nervös.
»Halt doch endlich still!«,
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