Die Magd von Fairbourne Hall
die verlangt, dass ich ihren Ruf rette!«
Lewis kam näher. »Hat die Katze deine Zunge verschluckt?«
Margaret schluckte. Er war so nah und zeigte doch nicht das leiseste Zeichen des Erkennens. Sollte sie die Idee aufgeben, solange sie noch konnte? Wenn er sie zurückwies – was für eine schreckliche Demütigung! Was sollte sie dann tun – die Achseln zucken, die Perücke wieder aufsetzen und seinen Nachttopf leeren?
Manchmal hatte sie sich schon ein spannendes Szenario ausgemalt. Die tragische Heldin, auf dem schmalen Balkon stehend, blickt zu den Sternen auf und beklagt ihr ungerechtes Los. In diesem Augenblick taucht der überwältigend gut aussehende Lewis auf. Im einen Moment betrachtet er noch voller Mitleid ein niedergeschlagenes Hausmädchen. Im nächsten fällt es ihm wie Schuppen von den Augen und er sieht und erkennt.
»Natürlich! Kein Wunder, dass ich dachte, wir wären uns schon begegnet. Mein Herz hat dich erkannt, auch wenn meine törichten Augen noch blind waren!«
Und er legt ihr die Hände auf die Schultern und dreht ihr Gesicht zu sich hin, als sie den Blick abwenden will. »Sieh mich an. Was ist mit dir geschehen?«
Und dann erzählt sie es ihm, voll mädchenhafter Scham und Verletzung. Und er versichert ihr, dass niemand ihr etwas Böses antun darf. Niemand wird sie anrühren – niemand außer ihm. Und dann legt er seine Hände an ihre Wangen.
»Du bist da«, würde er flüstern, mit heiserer Stimme, sein Gesicht, seine Lippen ganz nah an ihren. »Wie habe ich dich vermisst …«
»Du hast etwas verloren.«
»Hmmm?« Noch ganz versunken in ihre Träumerei, stellte sie fest, dass Lewis sie grinsend ansah. Er deutete auf eine schmutzige Socke auf dem Fußboden.
Mit brennenden Wangen bückte sie sich, um sie aufzuheben. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie, wie er seine Handschuhe auszog.
Er sah sich stirnrunzelnd im Zimmer um. »Hast du meinen Kammerdiener gesehen?«
»Nein, Sir.«
Er murmelte etwas Abfälliges über den jungen Mann; dann zog er eine Braue hoch. »Du hast nicht zufällig Lust, mir beim Auskleiden zu helfen?«
Wahrscheinlich machte er einen Scherz, aber sie spürte trotzdem, wie ihr ganz heiß wurde vor Entrüstung. »Nein, Mr Upchurch, das habe ich nicht.«
Sie drehte sich um und ging aus dem Zimmer, froh, dass sie sich ihm nicht zu erkennen gegeben hatte. Sie war schon halb den Flur hinunter, als ihr auf einmal bewusst wurde, dass sie ihm mit ihrer normalen Stimme geantwortet hatte – und noch dazu ziemlich hochnäsig.
Auf dem Weg nach unten blieb sie am Putzmittelschrank stehen, um Lampen mitzunehmen, die sie dort abgestellt hatte. Sie brachte sie in den Anrichtraum, wo Craig die Kerzen trimmen und die Lampengläser reinigen würde. Im Souterrain kam sie am Destillierraum vorbei und sah überrascht, dass die Tür halb geschlossen war – normalerweise stand sie weit offen. Sie spähte hinein – hoffentlich ging es Hester gut.
Anscheinend ging es ihr mehr als gut. Sie lehnte mit dem Rücken an ihrem Arbeitstisch, umschlungen von den Armen eines rothaarigen Mannes in dunkler Kleidung. Margaret zog schuldbewusst den Kopf zurück und ging rasch weiter. Sie hatte sich noch gefragt, wo Lewisʼ Kammerdiener war. Jetzt wusste sie es.
Margaret sah zu, wie Mrs Budgeon völlig aufgelöst durchs Haus flatterte und Vorbereitungen traf. Anscheinend hatte Lewis Upchurch Gäste zum Dinner eingeladen und sie hatten nicht genügend Personal, das bei Tisch bedienen konnte. Piers Saxby, seine Schwester und Miss Lyons waren nach Maidstone gekommen, um den Earl of Romney zu besuchen und die Neuerungen auf seinem Anwesen zu besichtigen, doch Lewis hatte sie überredet, zuerst nach Fairbourne Hall zu kommen. Zusammen mit Helen, Lewis und Nathaniel würden sie an diesem Abend zu sechst sein.
Mr Arnold, Thomas und Craig würden bei Tisch bedienen und außer ihnen natürlich der Kammerdiener Connor. Doch das bedeutete, dass sie auch für Freddy, den Laufjungen, eine Livree finden mussten, die ihm passte. Und dann musste noch eines der Mädchen bei Tisch aushelfen. Betty wurde auserwählt, doch Mrs Budgeon informierte Fiona und Nora, dass sie ebenfalls mithelfen mussten; sie sollten die Speisen aus dem Anrichtraum, wo sie warm gehalten wurden, hereintragen und die Deckel der zugedeckten Speisen sowie zwischen den einzelnen Gängen die gebrauchten Teller wegbringen.
Margaret war erleichtert, dass sie nicht hinter einem der Stühle zu stehen brauchte, um die Gäste direkt zu
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