Die Magd von Fairbourne Hall
Anblick eine Art gönnerhafte Überlegenheit. Ganz eindeutig wurde der Laden nicht von der Crème de la Crème aufgesucht. Sie wollte gerade weitergehen, als plötzlich ein Gegenstand hinter dem Glas das Sonnenlicht reflektierte und ihr dadurch in die Augen stach. Sie runzelte die Stirn und beugte sich vor, so weit ihr Korsett es erlaubte, um das Ding genauer sehen zu können.
Ihr stockte der Atem. Dort lag, neben einer armseligen Sammlung leicht eingedellter Töpfe und Kessel eine goldene Chatelaine in einem Samtkästchen. Das konnte doch nicht sein … Chatelaines waren keine Seltenheit, sagte sie sich – ja, man sah sie heutzutage eigentlich überall. Sogar feine Damen trugen sie, in diesem Fall natürlich mit Perlmuttintarsien oder sogar Juwelen verziert. Die, die sie gerade betrachtete, war nicht mit Juwelen geschmückt, aber ganz eindeutig war ein Hirschkopf in die Brosche eingraviert. Daneben lagen in wildem Durcheinander leere Schlüsselketten und drei winzige goldene Kästchen. Oh nein …
Bevor sie noch recht wusste, was sie tat, betrat Margaret den Laden. Die Glocke, die ihr Eintreten ankündigte, nahm sie kaum wahr. Ein winziger Mann mit schütterem Haar und dem buschigsten Backenbart, den sie je gesehen hatte, kam, um sie zu begrüßen, die Hände vor der schmächtigen, in einer Weste steckenden Brust verschränkt.
»Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Die Chatelaine im Fenster …« Sie war versucht zu fragen, wem sie gehört hatte, um ihren Verdacht zu bestätigen. Doch Bettys Bruder lebte hier im Dorf und sie wollte Betty nicht vor ihrer Familie bloßstellen; außerdem sollte Betty nicht erfahren, dass Nora in ihren Angelegenheiten herumschnüffelte.
»Wer … ich meine, ich habe sie noch nie zuvor gesehen.«
Der Mann schüttelte den Kopf; das Funkeln in seinen Augen strafte den bedauernden Ton Lügen. »Nein, Miss, sie ist erst heute reingekommen. Ein sehr schönes Stück. Hier vorn an Ihrem Kleid würde es sehr hübsch aussehen!«
Es gefiel ihr gar nicht, wie der Mann ihre Taille beäugte. Sie runzelte die Stirn. Betty würde ihr nie vergeben, wenn sie hörte, dass ein Hausmädchen aus Fairbourne daran dachte, ihre geliebte Chatelaine für sich selbst zu kaufen.
»Ich wollte sie nicht für mich.«
»Oh.« Enttäuschung malte sich auf seinem Gesicht, doch dann hoben sich seine Brauen wieder. »Ein Geschenk also? Wahrlich, ein schönes Geschenk!«
Margaret fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich weiß nicht. Ich … wie viel verlangen Sie dafür?«
»Für ein so schönes Stück? Es ist teuer, aber jeden Farthing wert für die glückliche Dame, die es trägt.«
Einen Farthing konnte sie aufbringen, doch aus der Art, wie seine Augen aufglommen, schloss sie, dass er sehr viel mehr verlangen würde. »Wie viel?«
»Oh …« Er verzog das Gesicht und schob die Lippen vor, während er ihren Pompadour, ihre Lederhandschuhe, ihre Haube einschätzte …
Sie wusste, dass die Antwort ihr nicht gefallen würde.
Er nannte eine Zahl. Eine erstaunliche Zahl.
»Aber … es ist doch gar kein Gold, das wissen Sie doch sicher. Es ist doch nur Messing.«
»Talmi, um genau zu sein.«
»Das ist kein Gold«, beharrte sie.
»Ich könnte mit dem Preis ein wenig heruntergehen, für eine feine junge Dame, wie Sie es sind.«
Sie schnaubte. »Ich bin keine feine junge Dame, Sir. Ich bin ein Hausmädchen.«
»Was Sie nicht sagen? Wo arbeiten Sie denn? Auf Fairbourne Hall?«
Margaret wandte sich zum Gehen, bevor sie etwas sagte, das sie bereuen würde. Sie griff nach der Türklinke.
»Nicht so hastig, Miss«, rief er ihr nach. »Ein Pfund, zwei Schilling und sechs Pence. Das ist mein letztes Wort.«
»Haben Sie ihr ein Pfund, zwei Schilling und sechs Pence gegeben?«
Seine Brauen zogen sich zusammen. »Wem?«
»Der Frau, die sie gebracht hat.« Sie schluckte und fügte hinzu: »Wer immer sie war.«
»Nun, man muss ja schließlich Profit machen, oder?«
»Mit dem Unglück anderer Menschen?«
Da – schon hatte sie zu viel gesagt. Sie drehte sich um und verließ den Laden ohne ein weiteres Wort. Seine wehleidigen Rufe, es sich doch noch einmal zu überlegen, ignorierte sie.
Sie ging die Straße zurück, zurück nach Fairbourne Hall. Sie konn te Betty nicht gegenübertreten. Nicht jetzt. Sie hatte nicht so viel Geld. Nicht einmal annähernd. Alles, was sie hatte, war die Kameenkette, die ihr Vater ihr geschenkt hatte. Sie war höchstwahrscheinlich sehr viel mehr wert als die Chatelaine,
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