Die Magd von Fairbourne Hall
Spätaugusts umfing sie. Sie blieb stehen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Die Wärme auf ihrer Haut war so süß, wie der Pudding geschmeckt hatte. Der Wolfshund, Jester, tauchte auf und trottete schwanzwedelnd neben ihr her.
Ihre Halbstiefel knirschten auf der gekiesten Auffahrt. Sie ging zwischen dem Küchengarten und einem der Blumengärten hindurch, die ihr Düfte nach Beinwell, Lavendel und zahlreichen anderen Blumensorten zufächelten, an der Hecke entlang bis zur vorderen Grenze des Grundstücks. Jester begleitete sie bis zur Straße, dort befahl sie ihm zurückzubleiben. Überrascht sah sie, dass der Hund ihr gehorchte, obwohl er ihr mit traurigen Augen nachblickte.
Sie würde nach Weavering Street gehen, beschloss sie. Dort würde sie dann sehen, ob sie den Mut hatte, das Fox and Goose zu betreten oder nicht.
Das winzige Dörfchen Weavering Street war lediglich eine Ansammlung von Häusern und Läden, die während des Baus von Fairbourne Hall entstanden waren und nach wie vor von den Familien vieler dort Beschäftigter genutzt wurden. Mrs Budgeon, hatte Margaret gehört, machte den Großteil ihrer Einkäufe in dem großen und wohlhabenden Maidstone.
Margaret schlenderte an den Geschäften vorbei – einer Kombination aus Bäcker und Metzger und einem Krämerladen, in dem es so gut wie alles gab, wie die im Fenster ausgestellten Waren bewiesen. Im Vorübergehen sog sie den köstlichen Duft von Pasteten und Kuchen, würzigem Käse und schmackhaften Chutneys ein.
Sie blieb jäh stehen, als sie Joan erblickte, die neben einem Einspänner vor dem Krämerladen stand. Ein wildes Durcheinander von Gefühlen stieg in ihr auf. Sehnsucht beim Anblick eines vertrauten Gesichts. Scham wegen der Schwäche, die sie vor ihrem früheren Mädchen gezeigt hatte. Dankbarkeit. Und Angst vor Zurückweisung.
»Hallo Joan«, sagte sie zögernd.
Joan blickte auf und schien ebenfalls zu zögern. »Ach! Schön. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie je wiedersehe.« Sie trat auf den Bürgersteig herauf. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich habe eine Stellung ganz in der Nähe.«
»Sie? Als was?«
»Als Hausmädchen.«
Joan schüttelte ungläubig den Kopf und sah dann zu dem Laden hinüber. »Ist doch noch jemand gekommen und hat Sie eingestellt, nachdem ich fort war?«
Margaret nickte. »Ja, zum Schluss doch noch.« Joan schien nicht interessiert an einer näheren Erklärung, deshalb fragte Margaret statt dessen: »Hast du heute auch einen halben Tag frei?«
»Einen halben Tag? Wohl kaum.« Joan schnaubte und sah wieder zum Laden hinüber. »Die Hayfields sind jetzt seit etwa einem Jahr in Trauer und außerdem pleite. Also keine Freizeit, kein Ball für die Dienerschaft, keine Geschenke zu Weihnachten, gar nichts. Ein paar der Dienstboten sind gegangen und haben sich bessere Stellungen gesucht, deshalb wurde ich eingestellt.«
»Das tut mir leid zu hören.« Das Schuldgefühl lastete bleischwer auf Margaret. »Und wie läuft es sonst so?«
Joan zuckte die Achseln. »Ich hatte es schon schlimmer. Die Haushälterin ist eine Schreckschraube, sie ist nie mit etwas zufrieden, aber ich habe ein Dach über dem Kopf, das Essen ist anständig und die anderen sind ganz in Ordnung.«
Das klang ziemlich ernüchternd. »Wenigstens bist du nicht Mädchen für alles«, meinte Margaret in dem schwachen Versuch, doch noch etwas Positives zu finden.
»Ja, dieses Schicksal ist mir erspart geblieben.« Joan brachte ein Grinsen zustande. »Und Sie? Sind Sie auf Rosen gebettet?«
»Es ist nicht schlecht, auch wenn eine von den anderen Hausmädchen mich nicht akzeptiert.« Beinahe hätte Margaret hinzugefügt: »Sie erinnert mich an dich«, doch dann verkniff sie es sich lieber.
In diesem Moment trat die strenge Haushälterin der Hayfields aus dem Krämerladen.
»Auf, Hurdle, wir müssen los. Schluss mit dem Getratsche.«
Joan sah Margaret an. »Na dann. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Joan«, flüsterte Margaret. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
Sie blieb stehen, während die beiden Frauen in den Einspänner stiegen und losfuhren. Dann drehte Margaret sich zum Schaufenster des Krämerladens um und fragte sich, was der alte Besen wohl dort gekauft hatte.
Sie betrachtete das kunterbunte Warenangebot – von billigen Kerzen über Kochutensilien bis zu Flaschen mit der neuesten Patentmedizin für die, die sich nicht in eine Apotheke trauten. Die Sammlung amüsierte sie und wenn sie ehrlich war, empfand sie bei dem
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