Die Maggan-Kopie
gewisser Weise hast du ja recht. Sie brennt, aber sie ist sehr weit entfernt. Sie kann dir nichts tun. Zumindest hier nicht. ... Sie macht das L e ben auf der Erde.“ K-Delta X2 sah Maggan an, wie ein Frühmensch seinen Medizinmann, der etwas Magisches gesagt hatte. Wahrscheinlich ve r stand sie kein Wort von dem, was Maggan erklärte. Doch es schien sie zu beruhigen. Sie ve r traute ihr.
Da nun dieses Phänomen seine Schrecklichkeit verloren hatte, blickte sie fasziniert in das Licht ihres ersten Sonnenaufgangs. Das Morgenlicht legte sich als warmer roter Schimmer über ihr Gesicht und ihr Haar. Nun sah ihre Haut nicht mehr so dünn und blass aus. Ihre Augen leuchteten und sie schien zu begreifen, dass die Sonne etwas Gutes war, etwas das Leben schenkte, doch unter bestimmten Voraussetzungen auch Leben zerstören konnte. Maggan sah so etwas wie Eh r furcht in ihren Augen.
K-Delta X2s Gestalt war die einer jungen Frau, doch irgendwie war sie wie ein Kind, wie ein Neugeb o renes. Maggan verspürte unendliches Mitleid. Sie hatten ihr so viel vorenthalten, so viel genommen. Nie konnte sie ein eige n ständiges Leben führen, nie konnte sie wirklich leben. Maggan wollte ihr ein Leben sche n ken, doch gleichzeitig fühlte sie sich so überfordert. Sie hatte ja keine Zeit gehabt, etwas zu planen oder vorzubereiten, oder sich selbst z u mindest in ihrem Inneren mit der Situation auseinanderzusetzen und zu begreifen. Für sie war alles genauso neu wie für K-Delta X2 der Sonnenau f gang.
Der beste Anfang wäre ein individueller Name, nicht dieses K-Delta X2.
„Was hältst du von Susan?“, fragte Maggan. K-Delta X2 blickte sie an und Maggan verstand, dass sie nichts verstand.
„Ich dachte, dass du einen neuen Namen bekommen solltest“, versuchte sie ihr zu erkl ä ren.
„Wieso?“, fragte K-Delta X2.
„Weil du jetzt ein neues Leben beginnen wirst, ein freies Leben. Deshalb solltest du auch einen richt i gen Namen haben. So wie ich. Ich heiße Maggan. K-Delta X2 ist ein Name für ein Ding und nicht für einen Menschen.“ Nach einer Weile fügte Maggan hinzu:
„Wie wäre es mit Svenja?“ K-Delta X2 nic k te.
„Okay, also Svenja!“
„Svenja“, wiederholte K-Delta X2.
„Svenja Svenson“, sagte Maggan. Schließlich war sie ja ihre Schwester, oder sogar noch etwas Nahestehenderes.
Vielleicht sogar nahestehender als eine Zwillingsschwester. Irgendwie war Maggan Svenja oder Svenja Maggan. Aber jede war auch sie selbst. Jede hatte ihre eigenen Gedanken, ihre eigenen Gefühle, obwohl Svenja noch nicht viele Erfahrungen im Leben gemacht hatte. Aber Maggan beschloss, Svenja beim Sammeln all dieser neuen E r fahrungen zu helfen.
Die Hütte
In der Kaffestuga
Maggan stellte die Sitzlehnen senkrecht und öffnete die Zentralverriegelung. Zuerst musste sie frische Luft tanken. Sie stieg aus und reckte ihre müden Glieder. Es roch nach feuchtem Gras. Svenja stieg ebenfalls aus dem Wagen. Neugi e rig betrachtete sie die Umgebung.
„Ist das Gras?“, fragte sie und deutete auf die Wiese.
„Ja“, lächelte Maggan, „das ist Gras. Und das sind Glockenblumen.“ Sie bückte sich, um eine zu pfl ü cken.
„Nein!“, schrie Svenja entsetzt. Die Rehe auf der Wiese zuckten zusammen und blickten in ihre Ric h tung. Dann flüchteten sie mit eleganten Sprüngen dem sicheren Waldrand entgegen. Maggan blickte ve r blüfft auf.
„Mach sie nicht tot“, bat Svenja.
„Okay!“, antwortete Maggan verwirrt und ließ von der Blume ab. Svenja l ä chelte glücklich.
Sie fuhren weiter Richtung Norden. Da Maggan nicht wusste, wohin sie fahren sollte, ließ sie das Satellitennavigationssystem ausgeschaltet. Es hätte sie s o wieso über die großen Straßen gelotst und das war ihr zu gefährlich. Die Städte, durch die sie hin und wieder fuhren wurden kleiner, die Straßen holpriger und die Wal d wege einsamer und länger.
Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es die Landflucht; die Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand in die Städte. Es gab verla s sene Gehöfte und ausgestorbene Dörfer. Vor ungefähr fünfzehn Jahren begann die sogenannte Polflucht. Die Menschen der nördlichen Halbkugel zogen nach S ü den und die der südlichen nach Norden. Das geschah allerdings nicht immer freiwillig. In den Orten auf noch legalem Territorium blieben meistens nur die Alten zurück. Das hatte zur Folge, dass hier in den nördlichen Gefilden Europas immer weniger Menschen lebten. Obwohl die
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